Al-Ġazālī und die naturwissenschaftliche Erklärung der Welt

Inhalt

1. Einleitung. 2

2. Was tun bei Konflikten zwischen Naturwissenschaft und Offenbarung?. 4

3. Wie gewiss muss naturwissenschaftliche Gewissheit sein?. 8

3.1 Von al-Ġazālī zu Einstein: Die Frage nach empirischer Gewissheit 8

3.2 Der Rahmen legitimer Auslegung. 9

3.3 Al-Ġazālī und die magnetischen Kräfte, oder: die Kriterien des rationalen Beweises (burhān) 11

3.4 Sufistische Wende ohne Abkehr von Rationalität 17

4. Die Grenzen der Toleranz und die Verurteilung der Philosophen. 20

4.1 Die Verurteilung der Philosophen. 20

4.2 Zum historischen Hintergrund von al-Ġazālīs Urteil 23

4.3 Ablehnung der philosophischen Wissenschaften durch al-Ġazālī 26

4.4 Gründe seiner Ablehnung der rationalen Wissenschaften. 28

5. Das Fortleben der Philosophie nach al-Ġazālī 31

6. Fazit 33

Literatur 36

1. Einleitung

Wenige Namen der islamischen Geistesgeschichte vermögen es selbst heute noch gleichzeitig zu inspirieren und zu polarisieren wie der sunnitische Theologe Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest. 1111 n. Chr.). So fühlen sich auch führende  muslimische Naturwissenschaftler herausgefordert sich vor allem zu al-Ġazālī zu positionieren. Der irakische Quantenkosmologe Mohammed Basil Altaie beispielsweise sieht im Theologen al-Ġazālī einen progressiven und auch heute noch relevanten Denker, dessen undogmatisches Verständnis von empirischer Naturwissenschaft moderner als das des im europäischen Spätmittelalter einflussreichen Aristotelikers[1] Averroes alias Abū Walīd Ibn Rušd (gest. 1198 n. Chr.) gewesen sei.[2] Dem entgegnet der algerische Astrophysiker Nidhal Guessoum, der sich in der Tradition des Averroes verortet, dass Altaies Haltung zu al-Ġazālī einer der wenigen Punkte sei, in denen er ihm nicht folgen könne.[3] Als Fazit seiner Kritik an al-Ġazālī, den er als den vielleicht einflussreichsten islamischen Denker aller Zeiten bezeichnet,[4] urteilt Guessoum: „… for philosophy and science his legacy and influence were minimal, if not negative.[5] Trotz dieser Differenz stehen Guessoum und Altaie aber beide für eine Vereinbarkeit von islamischem Glauben und moderner Naturwissenschaft, die sowohl die moderne Kosmologie, als auch die Evolutionstheorie beinhaltet.[6] Diese Kontroverse zwischen modernen muslimischen Naturwissenschaftlern steht exemplarisch für die mächtige Wirkungsgeschichte al-Ġazālīs und zeigt, dass er es verstand zeitlose Grundprobleme im Grenzbereich zwischen Vernunft und Offenbarungsglaube zu präzisieren und eigene paradigmatische Antworten darauf zu geben – Antworten, die aber teils tief reichende Ambivalenzen transportieren.

Im vorliegenden Beitrag soll der Versuch gemacht werden einige Grundzüge des Wissenschaftstheoretikers al-Ġazālī herauszuarbeiten, seine stellenweise ambivalenten Haltungen zum Vernunftgebrauch zu kontextualisieren  und zu erschließen, inwieweit er in der Frage nach Vereinbarkeit von empirischer Naturwissenschaft und islamischer Theologe auch heute noch von Bedeutung sein kann. Dazu starten wir in Abschnitt 2 mit einem konkreten Lösungsvorschlag aus seiner berühmten rationalen Philosophiekritik zu einem Konfliktfall zwischen Naturwissenschaft und islamischer Textüberlieferung, den er zu Gunsten der Naturwissenschaft entscheidet.[7] In Abschnitt 3 gehen wir anhand verschiedener Werke al-Ġazālīs der Frage nach, wie gewiss naturwissenschaftliche Erkenntnisse sein müssen, um die religiöse Textauslegung entsprechend anpassen und dabei vom Wortlaut abweichen zu können. Auch die Erweiterung seines Erkenntnismodells im Zuge seiner sufistischen Wende wird hier näher betrachtet. Die hier gezeichnete sehr vernunftbetonte Sichtweise wird in Abschitt 4 kontrasiert mit al-Ġazālīs ablehnender Haltung gegenüber den Philosophen und den philosophischen Wissenschaften. Dabei werden wir sehen, wie diese Haltungen kontextualisiert werden müssen, um vereinbar zu bleiben mit den zeitgleich formulierten positiven Stellungnahmen zur Vernunfterkenntnis. Hier werden wir auch den historischen Kontext von al-Ġazālīs Wirken näher betrachten. In Abschnitt 5 wird auf kurzem Raum gezeigt, dass und wie die Philosophie auch nach al-Ġazalī weiterging. In Abschnitt 6 wiederum wird in Form von sieben Thesen ein Fazit zu den hier angestellten Untersuchungen gezogen.

 

 2. Was tun bei Konflikten zwischen Naturwissenschaft und Offenbarung?

Wir betrachten nun eine Darstellung al-Ġazālīs aus dem Vorwort seiner als „Inkohärenz der Philosophen“ (Tahāfut al-Falāsifa) bekannten Philosophiekritik, die aus dem Jahre 1095 n. Chr stammt. Darin geht er vor einer ausführlichen Kritik an 20 Thesen der islamischen Aristoteliker auf einen offensichtlich schon länger bestehenden Konflikt zwischen dem Weltbild der Traditionalisten  und dem der astronomisch gebildeten Philosophen ein.[8] Al-Ġazālī, der die Beweisführungen der mathematischen Astronomie seiner Zeit nie in Frage stellte, macht hierin einen Scheinkonflikt aus, der durch Unkenntnisse und Irrtümer auf Seiten der Theologen bedingt sei. Da diese Passage einen großen Teil von al-Ġazālīs rationalem Programm vorwegnimmt, soll sie hier ausführlicher dargestellt werden. Konkret widmet sich al-Ġazālī der Frage, wie Mond- und Sonnenfinsternisse zu erklären sind. Zur Erklärung dieser Phänomene durch die Philosophen schreibt er: 

So sagen sie beispielsweise bei der Erklärung der Mondfinsternis, dass das Licht des Mondes erlischt, sobald sich die Erde zwischen Sonne und Mond befindet. Denn die Erde erhält ihr Licht von der Sonne. Sie ist kugelförmig und der Himmel umgibt sie von allen Seiten. Wenn der Mond sich im Schatten der Erde befindet, dann erreicht sie das Licht der Sonne nicht mehr. Bei der Erklärung der Sonnenfinsternis sagen sie, dass diese eintritt, wenn der Mond sich zwischen die Sonne und dem, der die Sonne anschaut, schiebt. Dies passiert, wenn sich Sonne und Mond [vom Beobachter aus] in der gleichen Position befinden.[9]

 

Danach argumentiert er gegen den Versuch diese rationale Erklärung mit religiösen Begründungen abzulehnen:

 

Wir werden auch hier nicht versuchen eine solche Auffassung zu widerlegen. Wir sind nicht der Meinung, dass dies nützlich ist. Wer glaubt, dass die Zurückweisung einer solchen [naturwissenschaftlichen] Ansicht in religiöser Hinsicht eine Verpflichtung ist, verschuldigt sich an der Religion (faqad ǧanā ʿalā-d-dīn) und schwächt ihre Sache. Zum Beweis solcher Angelegenheiten gibt es geometrische und arithmetische Beweise, die keinen Zweifel lassen.[10]

 

Nun geht er auf einen reale oder fiktive Gesprächssituation ein, in der die Theologen inhaltlich unterlegen sind, und mahnt die Theologen zur Zurückhaltung:

Wenn man zu jemandem, der diese Wissenschaft kennt und infolge eines Studiums ihrer Beweise die Zeiten, die Stärke und die Dauer beider Finsternisse vorhersagt, sagt: Das widerspricht der Religion!, dann zweifelt jener nicht an der Sache, sondern an der Religion. Der Schaden, den die Religion von demjenigen erfährt, der der Religion auf einem Weg außerhalb der Religion [scheinbar] hilft, ist größer als der Schaden durch den, der die Religion auf einem Weg innerhalb ihrer angreift. Er ist wie der, von dem es heißt: Ein vernünftiger Feind ist besser als ein unwissender Freund.[11]

 

Als nächstes geht er auf das tiefer liegende Problem in der Argumentation der Theologen ein, nämlich auf deren Umgang mit religiösen Primärtexten – Koran oder authentischer Hadith –, deren Wortlaut in Spannung zu naturwissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen steht:

 

Und wenn gesagt wird: Der Gesandte Gottes, Allah segne ihn und schenke im Frieden, sagt: Die Sonne und der Mond sind zwei Zeichen unter den Zeichen Allahs. Sie verfinstern sich nicht durch den Tod oder das Leben von jemandem. Wenn ihr solches [eine Finsternis] seht, dann nehmt Zuflucht zum Gedenken Gottes und zum Gebet.‘ Wie passt das zu dem, was sie [die Philosophen] gesagt haben?

Dann sagen wir: Hierin gibt es nichts, was dem widerspricht, was sie gesagt haben. Darin [im Hadith] wird nur ausgesagt, dass es zur Finsternis nicht durch den Tod oder das Leben von jemandem kommt. Und dazu, dass darin zum Gebet [bei einer Finsternis] aufgerufen wird: Es ist die Religion, die zum Gebet am Mittag, bei Sonnenuntergang und zu Sonnenaufgang aufrufen. Warum sollte es da fernliegen, dass sie es gebietet bei der Finsternis mit dem Gebet Folge zu leisten?[12]

 

Diese Diskussion wird nun erweitert auf den möglichen Fall, dass der Wortlaut eines Hadithes in unmittelbarem Widerspruch zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis steht. Der erste und harmlosere Fall ist dabei der der fehlenden Authentizität des entsprechenden Textes:

 

Und wenn gesagt wird: „Es wurde überliefert, dass er [der Prophet] am Ende des Hadith gesagt hat: ‚Wenn Gott in einem Ding erscheint, dann unterwirft es sich ihm‘. Das zeigt, dass die Finsternis ihre Ursache in der Unterwerfung hat“, dann sagen wir: Dies ist eine Hinzufügung. Es ist nicht richtig dies zu überliefern. Man muss den Überlieferer der Lüge bezichtigen. Das, was [wirklich] überliefert ist, ist das, was wir genannt haben.[13]

 

Der für uns interessantere zweite Fall ist der des authentischen Textes, der wörtlich genommen unmittelbar den rational gewonnen Erkenntnissen widerspricht:

 

Doch was wäre, wenn sie [d. h. die Hinzufügung] authentisch wäre? Dann wäre ihre [metaphorische] Interpretation (taʾwīl) leichter als die Überheblichkeit gegen gesicherte Angelegenheiten (umūr qaṭʿīya). Und es gibt viele Wortlaute (ẓawāhir) [in anderen Quellen], die mit rationalen Beweisen (ebenfalls) interpretiert wurden, die aber hinsichtlich ihrer Deutlichkeit nicht an diese Grenze [wie bei der geometrischen Erklärung der Finsternisse] heranreichen.[14]

 

Nach diesem Plädoyer für eine metaphorische Auslegung geht erneut eine Warnung an die Theologen:

Und am meisten profitieren die Religionsgegner (malāḥida) davon, wenn der Helfer der Religion erklärt, dass dies und ähnliches [an wissenschaftlich Gesichertem] der Religion widerspricht. Und er erleichtert ihm [dem Religionsgegner] den Weg zur Widerlegung der Religion (ibṭāl aš-šarʿ), wenn sie [d. h. ihre Wahrheit] von Bedingungen wie dieser abhängig gemacht wird.[15]

 

Diese Kompromissbereitschaft macht er dadurch plausibel, dass es dem Theologen in der Auseinandersetzung mit solchen Themen – insbesondere im damaligen Disput mit den Aristotelikern – nur darum gehen sollte die generelle Erschaffenheit der Welt zu beweisen, statt sich an empirischen Details abzumühen, für die der Theologe kein Experte ist:

 

Nachdem ihre Erschaffenheit [d. h. die der Welt] bewiesen ist, ist es gleichgültig, ob sie eine Kugel oder flach ist, oder ob sie sechseckig oder achteckig ist. Und es ist gleichgültig, ob die Himmel und das unter ihnen dreizehn Schichten sind, wie sie gesagt haben, oder weniger oder mehr. Das Verhältnis des Nachdenkens darüber zur theologischen Untersuchung (al-baṯ al-ilāhī) ist wie das Verhältnis des Nachdenkens über die Schichten der Zwiebel und ihre Anzahl, und über die Anzahl der Kerne des Granatapfels [zur theologischen Untersuchung]. Der Zweck ist [zu zeigen], dass ihre Existenz [d. h. die der Welt] zum Tun Allahs allein gehört, wie immer es auch [im Einzelnen] existieren mag (fa-l-maqṣūd kawnuhū min fiʿl-Allāh faqaṭ kayfa mā kān).”[16]

 

Dieses Beispiel der durch Theologen mystifizierten Finsternisse muss al-Ġazālī lange beschäftigt haben. Denn über zehn Jahre später wird er dies in seiner Autobiografie wieder als abschreckendes Beispiel für theologische Inkompetenz bei der Auseinandersetzung mit den philosophischen Wissenschaften geben, dort jedoch ohne den für uns interessanten Hinweis auf die Möglichkeit metaphorischer Auslegung.[17]

Ziehen wir daraus nun ein erstes Fazit: Es gibt in den philosophischen Wissenschaften „gesicherte Angelegenheiten“ über die Natur, die auf naturwissenschaftlichem, d. h. auf rationalem und empirischem Wege erschlossen wurden. Diesen können bisweilen in Widerspruch zum Wortlaut authentischer Hadithe und ebenso auch von Koranversen stehen. So ein Fall ist als Hinweis darauf zu sehen, dass die entsprechende Textstelle nicht wörtlich gemeint ist, sondern einer metaphorischen Auslegung (taʾwīl) bedarf. Denn das eigentliche Anliegen von Versen oder Hadithen zur Schöpfung besteht darin auf metaphysische Wahrheiten hinzuweisen, und nicht in Wettstreit mit den empirischen Wissenschaften zu treten.

Hieraus ergeben sich zwei Fragen, mit denen wir uns im Folgenden befassen werden. Die erste ist eine erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretische: Wie „gesichert“ müssen die „gesicherten Angelenheiten“ der Naturwissenschaften nach al-Ġazālī  sein um ein Ausweichen vom Wortlaut von Koran und authentischem Hadith auf eine metaphorische Deutung zu legitimieren? Sie ist Thema von Abschnitt 3. Die zweite Frage betrifft die Frage der Toleranz gegenüber (mutmaßlich) unbegründeten Abweichungen vom Wortlaut: Wie sind metaphorische Auslegungen nach al-Ġazālī zu beurteilen, die ohne das Vorliegen eines ausreichend gesicherten rationalen Beweises erfolgen, und was folgt daraus für die entsprechenden Ausleger? Dies wird in Abschnitt 4 diskutiert. Widmen wir uns nun der ersten Frage.

 

 

3. Wie gewiss muss naturwissenschaftliche Gewissheit sein?

3.1 Von al-Ġazālī zu Einstein: Die Frage nach empirischer Gewissheit

Martin Riexinger hält in seiner Analyse zur Wirkungsgeschichte des oben diskutierten Textes fest, dass es in den Jahrhunderten nach al-Ġazālī bei einer Reihe von Gelehrten eine vergleichbare Bereitschaft zur metaphorischen Auslegung von kosmologisch relevanten Koranversen und insbesondere von Hadithen gegeben hat.[18] Teilweise stützen diese sich dabei ausdrücklich auf al-Ġazālī. Jedoch ist diese Bereitschaft im Wesentlichen auf Konfliktfälle mit der Astronomie ptolemäischer, kopernikanischer und post-kopernikanischer Prägung beschränkt.[19] Hintergrund dafür ist nach Riexinger die von den späteren Gelehrten ähnlich artikulierte Forderung, dass es zum Abweichen vom Wortlaut „geometrischer und arithmetischer Beweise, die keinen Zweifel lassen“ (al-Ġazālī) bedürfe. Während dies von den genannten Gelehrten für Fragen nach der Gestalt der Erde oder des Zustandekommens von Mond- und Sonnenfinsternissen als gegeben angenommen wurde, konnten bzw. mussten ansonsten aufgeschlossene Gelehrte wie Ḥusain al-Ǧisr al-Ṭarābulusī (gest. 1909 n. Chr.) komplexere und voraussetzungsreichere Theorien wie die Evolutionstheorie als unbewiesene Spekulation zurückweisen, da deren Belege nicht die Qualität eines notwendig zwingenden Beweises im Stile eines geometrischen Schlusses erreichten bzw. auch gar nicht erreichen können.[20] Stellt man noch in Rechnung, dass in der modernen Naturwissenschaft nach zahlreichen wissenschaftlichen Umwälzungen, philosophischen Revisionen und Widerlegungen alter Gewissheiten das Konzept unfehlbaren empirischen Wissens aufgegeben wurde, könnte man rückblickend sogar den astronomischen Erklärungen der Finsternisse ihre absolute Gewissheit absprechen. Denn spätestens Einstein hat mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie von 1915 gezeigt, dass die euklidische Metrik des Raumes, wie sie die klassische Astronomie apriori voraussetzt, nur einer von vielen Fällen in der Natur ist, da der leere Raum durch entsprechend starke Gravitationsfelder bis zur Unkenntlichkeit verbogen sein kann. Dies wiederum macht auch die astronomischen Rechnungen seit der Antike zu voraussetzungsreichen Annahmen, deren Erfolg allein den relativ geringen Massen von Sonne, Mond und Erde geschuldet ist. Also kann selbst die Geometrie des leeren Raumes, die für eine exakte physikalische Erklärung einer Sonnenfinsternis bekannt sein muss, somit nicht mehr als apriori gegeben vorausgesetzt werden, sondern ist selbst Gegenstand empirischer Forschung. Konkret: Wer absolut sicheres empirisches Wissen fordert und dafür die Gewissheit von mathematisch zwingenden Beweisen ohne jederzeit widerlegbare Zusatzannahmen erwartet, wird heutzutage leer ausgehen.[21] Damit wäre aber auch al-Ġazālīs Kriterium für das Abweichen vom Wortlaut bei Konflikten mit der Naturwissenschaft gar nicht mehr, oder nur für die einfachsten Phänomene erfüllt. Im Folgenden soll nun gezeigt werden, dass al-Ġazālī trotz der zitierten Passage aus seiner Philosophiekritik von weit weniger strengen Beweisanforderungen für das Abweichen vom Wortlaut ausging.

3.2 Der Rahmen legitimer Auslegung

In einem nach seiner Philosophiekritik verfassten Text formuliert al-Ġazālī einen konkreten Rahmen, innerhalb dessen sich Auslegungen bewegen dürfen, die als noch mit dem islamischen Glauben vereinbar gelten sollen. [22] Dabei ist die objektive Richtigkeit der Auslegung nicht das entscheidende Maß. Als Kriterium gibt er vielmehr an, dass diese Auslegungen Koran und authentischem Hadith keine Lüge unterstellen dürfen. Wenn demnach die Texte die Existenz von Dingen aussagen (beispielsweise von anthropomorphen Attributen Gottes), dann darf eine Auslegung dieser Texte nicht zur völligen Leugnung der Existenz dieser Dinge führen. Sie kann der entsprechenden Sache aber einen geringeren Grad an Existenz als die seiner objektiven Existenz in der Außenwelt zusprechen.[23] Eine solche Reduzierung des Existenzgrades eventuell bis hinab zur bloßen Metapher ist aber nur legitim bei Vorliegen eines rationalen Beweises (ʿalā qiyām al-burhān)[24], der zeigt, dass der Sinn des Textes nicht wörtlich gemeint sein kann, weil er sonst in Konflikt zur Vernunft treten würde.[25] Zu den rationalen Beweisen zählen auch die naturwissenschaftlichen Beweise. Nun ist Naturwissenschaft im modernen Verständnis wie erwähnt jedoch stets hypothetisch und fallibel. Darum ist hier die Frage interessant: Was passiert, wenn der rationale Beweis fehlerhaft und somit die Auslegung nicht legitimiert ist? Diese Frage war im 11. Jahrhunderts politisch höchst brisant, da zahlreiche islamische Richtungen sich regelmäßig Unglaube aufgrund nicht legitimer Auslegungen unterstellten, was auch praktische Konsequenzen haben konnte. Al-Ġazālī mahnt nun zu gegenseitiger Toleranz, selbst bei inhaltlicher Differenz:

„… keine Gruppe sollte ihren Widersacher des Unglaubens bezichtigen, nur weil sie meint, er mache einen Fehler in der apodiktischen Beweisführung. Es ist [aber sehr] wohl erlaubt, ihn einen Irrenden oder Neuerer zu nennen.“[26]

Auch wenn „Irrender“ und „Neuerer“ letztlich abwertende Urteile sind, bleibt die Anerkennung des Gegenübers als Muslim mit selben Grundrechten gewahrt.[27] Das Ziel al-Ġazālīs an dieser Stelle ist es möglichst viele Streitpunkte zwischen den damaligen islamischen Richtungen für sekundär zu erklären. Er formuliert jedoch auch Ausnahmen von dieser Toleranz. Die wichtigste liegt in ihrer Beschränkung auf Fragen, die nicht den innersten Kernbereich des Glaubens wie etwa das jenseitige Gericht oder die Allwissenheit Gottes betreffen. So hat er den islamischen Aristotelikern einige wenige, aber aus seiner Sicht unentschuldbare Grenzüberschreitungen vorgeworfen, von denen in Abschnitt 4 die Rede sein wird. Für unsere aktuelle Frage ist es nur wichtig festzuhalten, dass laut al-Ġazālī ein rational begründetes Verlassen des Wortsinns nicht nur denkbar, sondern bei Vorliegen eines Beweises sogar notwendig[28] ist – und dass selbst im Falle, wenn andere Gelehrte oder Gruppierungen diesen Beweis nicht anerkennen, daraus in der Regel keine Legitimation folgt dem Gegenüber ein Abgleiten in „Unglaube“ vorzuwerfen. Empirische Fragen gehören nun typischerweise zu jenen, die nicht den Kern des Glaubens berühren, wie aus dem Ende des Textauszugs aus al-Ġazālīs Vorwort deutlich wird. Auch der dortige Hinweis, dass schon vor dem Hadith zur Sonnen- und Mondfinsternis etliche Wortlaute mit teils schwächeren Begründungen metaphorisch ausgelegt wurden, zielt darauf ab als problematisch empfundene Auslegungen der anderen „leicht [zu] nehmen, selbst wenn die Interpretation schändlich und vom äußeren Wortsinn her unbegründet ist“.[29]

In einem anderen späteren Text führt al-Ġazālī nochmals vor, in welchen verschiedenen Verhältnissen das von der Vernunft Erkannte (al-maʿqūl) und das Überlieferte (al-manqūl) zueinander stehen können und plädiert dafür beides ernst zu nehmen und nach Möglichkeit zusammenzuführen.[30] Da die Kräfte aber beschränkt sind, gibt er dem Wahrheitssucher noch drei Ratschläge an die Hand, nämlich (1) dass er nicht erwarten soll, die Bedeutungen aller überlieferten Texte gleichzeitig erkennen zu können, (2) dass er niemals einen zwingenden rationalen Beweis für Lüge erklären soll, da die Vernunft nicht lügt[31], und (3) dass er sich mit einer Festlegung auf eine bestimmte Auslegung zurückhalten soll, wenn sich viele Möglichkeiten abzeichnen, aber noch für keine ein Beweis vorliegt (tawaqquf). So kann es einen Beweis geben, der vom Wortlaut wegführt, aber gleichzeitig kann ein Beweis fehlen, der zeigt, für welche übertragene Bedeutung der Wortlaut steht. Diese Hinweise sollen zum einen zur Geduld bei der Suche nach der endgültigen Wahrheit anregen – sowohl im Umgang mit dem Text, als auch mit den Möglichkeiten der Auslegung. Gleichzeitig sollen sie aber auch unterstreichen, dass ein rationaler Beweis (burhān) per Definition ein wahres Ergebnis liefert, wenn auch nur als Teiletappe eines noch zu erschließenden Gesamtbildes.

3.3 Al-Ġazālī und die magnetischen Kräfte, oder: die Kriterien des rationalen Beweises (burhān)

Damit stehen wir nun vor der Frage, was genau denn einen gesicherten rationalen Beweis (burhān) ausmacht. Wie eingangs dargestellt umfasst dies auch Beweise der theoretischen Naturwissenschaft, also der naturwissenschaftlichen Erklärungen. Al-Ġazālī hat dazu nach seiner Philosophiekritik mehrmals die aristotelisch geprägte Wissenschaft der Logik als objektives und universelles Werkzeug des Denkens hervorgehoben und beschrieben.[32] Sein Spezialwissen hierzu verdankt er dabei primär den Werken islamischer Philosophen wie Avicenna (alias Abū ʿAlī ibn Sīna, gest. 1037 n. Chr.), die sich ihrerseits auf antike Philosophen mit Aristoteles an der Spitze stützen.

Al-Ġazālī wurde nicht müde auch in diesem Punkt die Theologen seiner Zeit anzuprangern: „Die heutigen Rechtsgelehrten sind von Natur aus zu schwerfällig, die Bedingungen des apodiktischen Beweises in vollem Umfang zu verstehen.“[33] Es bedurfte daher wiederholter Anstrengungen, um den Theologen sowohl die Relevanz dieses der Philosophie entlehnten Themas, als auch die entsprechenden Kenntnisse zu vermitteln, ohne sie dazu auf die Werke der Philosophen verweisen zu müssen. Das ehrgeizige Ziel dieser ungewöhnlich breiten Erweiterung des Rahmens islamischer Theologie war es das theologische und islamrechtliche Argumentieren auf eine gesicherte und gemeinsame methodische Grundlage zu stellen, mit dem Ziel Scheinargumente von substanziellen Beweisen eindeutig und frei von subjektiver Willkür unterscheidbar zu machen.[34] Erstaunlich daran ist, dass al-Ġazālī also auch Jahre nach seiner sufistischen Wende daran festhielt, dass die meisten innerislamischen Streitigkeiten über die rechte Auslegung von Koran und Hadith nicht mittels Charisma oder emotionalem Dafürhalten, sondern mit der strengen logischen Methode beigelegt, oder zumindest in ihren Ursachen durchschaut und entschärft werden könnten.[35]

Wir werden uns im Folgenden einige Thesen aus seinem letzten großen Werk anschauen, das er im Jahre 1109 n. Chr. vollendet hat, nämlich einem dichtes Kompendium zur islamischen Rechtshermeneutik (uṣūl al-fiqh), das zugleich das erste seiner Sparte ist, dem ein langes Vorwort zur Logik vorangestellt ist. [36] Von diesem sagt al-Gazālī seinen theologisch geschulten Lesern, dass es als Vorwort aller Wissenschaften zu begreifen sei. Ja, mehr noch: „Wer seinen Inhalt nicht begreift, dessen Wissen ist auf keinem Fall zu trauen.“[37] Dem folgt eine ausführliche Lehre von der Definition (ḥadd) und vom wissenschaftlichen Beweis (burhān), die er beide als die Erkenntnisweisen der Vernunft (madārik al-ʿuqūl) bezeichnet. Von Bedeutung für einen solchen Beweis ist noch vor dem Inhalt seine logische Struktur. In der Tradition des Aristoteles ist diese der Syllogismus (arabisch: qiyās)[38], deren Varianten, Bestandteile und Eigenschaften in den ersten Analytiken des Aristoteles systematisch gesammelt und dargestellt wurden, und die sich nun zu wichtigen Teilen bei al-Ġazālī wiederfinden. Didaktisch anschaulich ist für die philosophische Logik ist folgender Syllogismus:

Prämisse 1:     Alle Menschen sind sterblich

Prämisse 2:     Sokrates ist ein Mensch

Konklusion:    Also ist Sokrates sterblich

Die Logiker im Umfeld des islamischen Rechts[39] verwenden zur Veranschaulichung des juristischen Analogieschlusses lieber folgenden Syllogismus:

Prämisse 1:     Alles Berauschende ist verboten (ḥarām).

Prämisse 2:     Wein ist berauschend.

Konklusion:    Also ist Wein verboten.

Der Unterschied zwischen dem rationalen und juristischen Syllogismus ist primär, dass das allgemeine Prinzip aus Prämisse 1 im philosophischen Fall der Vernunft und im juristischen Fall den religiösen Quellen entstammt. Es gibt dabei verschiedene Formen logisch gültiger Syllogismen. Ihnen ist gemeinsam, dass die beiden Prämissen einen gemeinsamen Mittelbegriff (hier: „Mensch“ bzw. „berauschend“) beinhalten, der beide Prämissen logisch miteinander verknüpft. Ferner muss mindestens eine Prämisse eine allgemeine Aussage beinhalten, die sich also nicht nur auf einige, sondern auf alle Repräsentanten (z. B. „alle Menschen sind sterblich“) eines Begriffs beziehen. Genau dies ist die Stelle, die im rationalen Fall für den Übergang vom bloßen Syllogismus zum apodiktischen Beweis entscheidend ist. Denn damit die Konklusion mit Notwendigkeit wahr sein kann, muss der Syllogismus nicht nur eine logisch gültige Form haben, sondern die beiden Prämissen müssen auch zweifelsfrei wahr sein. Es müssen also nicht nur die „Rechenregeln“ eingehalten werden, sondern es müssen auch die „richtigen“ Eingangswerte in die „Formeln“ eingesetzt werden um „richtige“ Ergebnisse zu erhalten.

Einzelaussagen wie „Sokrates ist ein Mensch“ lassen sich in diesem Zugang durch direkte Erfahrung prüfen. Aber wie beweist man die Wahrheit einer für den Syllogismus nötigen allgemeinen Aussage wie „alle Menschen sind sterblich“, wenn man doch gar nicht alle Menschen kennen und prüfen kann? Hier bedarf es einer gesicherten Erkenntnis über die allgemeinen Eigenschaften der Gattung, der das betreffende Objekt abgehört.[40] Manchmal bietet es sich an diese allgemeinere Erkenntnis durch ein Aufsteigen zu den höheren und noch allgemeineren Gattungen der in den Prämissen vorkommenden Begriffe zu erlangen. So sind alle Menschen zugleich auch materielle Wesen. Und von materiellen Wesen könnte man nun annehmen, dass sie alle per se vergänglich sind. Ein solches Hinaufsteigen zu den „ersten Prinzipien“ kann natürlich nicht endlos fortgeführt werden, wenn es das Ziel ist aus einem sicheren Startpunkt heraus eine gesicherte Erkenntnis abzuleiten (z. B. „Sokrates ist sterblich“).

Die nahliegende Alternative besteht also darin an irgendeiner Stelle der Herleitung abzubrechen. Aber wo? Wenn man Glück hat, dann endet man bei „apriori“ wahren Sätzen, also Sätzen, deren Wahrheit unabhängig von jeder Erfahrung unmittelbar ersichtlich ist. Manchmal sind dies logische Axiome, die per se als wahr angenommen werden.[41] Auch die Axiome der euklidischen Geometrie oder der Arithmetik besitzen eine vergleichbare Überzeugungskraft, die sich aus der immensen Nützlichkeit der daraus abgeleiteten Mathematik ableitet. Darum galten diese Axiome zumindest bis zum 19. Jahrhundert weithin als unumstößliche intellektuelle Wahrheit. Eben diesem Ruf verdankt sich auch der Verlass auf die geometrische Erklärung von Finsternissen.

In den meisten empirischen Wissenschaftsdisziplin wurden bzw. werden Prinzipien, die sich mehrfach bewährt haben, von den jeweiligen Spezialisten im pragmatischen Geist schlichtweg als „erste Prinzipien“ festgelegt, ohne Ansprüche mathematischer Gewissheit. Dies ist der übliche Weg der theoretischen Naturwissenschaften seit Aristoteles. Das Auffinden allgemeinerer Prinzipien durch Begegnung mit dem Speziellen heißt bei letzterem Epagogé (Heranführung), bei den muslimischen Philosophen und Theologen istiqrāʾ (Erforschung) und im modernen Vokabular Induktion (Heranführung).[42] Über die Frage, ob ein solcher induktiver Übergang zum Allgemeinen ein legitimer Schluss, eine psychologische Folge der Gewöhnung oder ein hyptothetisch eingenommener Forschungsstandpunkt, ist schon viel gestritten worden. Heute jedenfalls wird kaum jemand ein durch Induktion aufgestelltes naturwissenschaftliches Prinzip als unumstößliche allgemeine Wahrheit bezeichnen wollen, und auch nicht als eine quasi-mathematische Gewissheit.

Es stellt sich nun die Frage, ob al-Ġazālī nur logisch bzw. mathematisch zwingende erste Prinzipien für wissenschaftliche Beweise zulassen wollte, oder ob er auch der Erfahrung entlehnte „Naturgesetze“ zulassen würde. Dankenswerterweise hat al-Ġazālī uns im Vorwort seiner Rechtshermeneutik eine ganze Liste von Wegen zum Auffinden von solcher ersten Gewissheit (yaqīn) mitgegeben. So nennt er als Quellen der Gewissheit (madārik al-yaqīn) (1) logische und rationale Axiome (awwalīyāt), (2) innere Wahrnehmungen (Introspektion), (3) Wahrnehmungen der äußeren Sinne, (4) Erfahrungwissen und (5) vielfach überlieferte Nachrichten.[43] Sinneswahrnehmungen und Erfahrungswissen werden hier getrennt betrachtet, da ersteres den Sinnesinformationen entspricht und letzteres der tieferen Vernunftbetrachtung der Sinnesinformationen. Betrachten wir nun dieses Erfahrungswissen (taǧrībīyāt) etwas genauer. Hierbei handelt es sich gerade um die Erfassung allgemeiner Grundsätze, die sich bei wiederholter sinnlicher Erfahrung einstellt. Vom Erfahrungswissen schreibt al-Ġazālī:

„Manchmal wird dieses auch als Kontinuität der Gewohnheiten (iṭṭirād al-ʿādāt) bezeichnet. Dies ist wie dein Urteil, dass das Feuer verbrennt, und dass das Brot sättigt. Und [wie die Tatsache] des abwärts fallenden Steins, und des aufsteigenden Feuers, und des berauschenden Weins, und des abführenden Skammoniums.“[44]

Die Gewohnheiten (ʿādāt), von denen hier die Rede ist, ist ein häufiges Synonym in der rationalen islamischen Theologie (kalām) für die Gesetzmäßigkeiten in der Natur.[45] Wie man sieht, ist hier auch medizinisches Erfahrungswissen einbegriffen, dessen Grad an rationaler Notwendigkeit deutlich unterhalb dem der Geometrie liegt. Solche Gewissheiten erlangt man nur durch Erfahrung, also durch eine individuelle Expertise, beispielsweise auch im naturwissenschaftlichen Bereich:

„Dann ist das auf Erfahrung beruhende Wissen für den, der es erprobt hat, absolut feststehend (yaqīnīya)… Und so verhält es sich auch mit dem Urteil des Wissenden, dass der Magnet das Eisen anzieht. Und dies[es Urteil] ist keine sinnliche Wahrnehmung.“[46]

Denn die Sinneswahrnehmung erfährt nur Einzeldinge. Die Verallgemeinerung auf allgemeine empirische Urteile bzw. Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge ist kein Werk der Sinneswahrnehmung:

„Denn das von den Sinnen Wahrgenommene ist, dass dieser eine Stein zu Boden fällt. Aber das Urteil, dass alle Steine zu Boden fallen, ist ein allgemeines Urteil (qaḍīya ʿāmma), und kein singuläres Urteil. Aber den Sinnen fallen nur singuläre Urteile zu.“[47]

Der Weg zu den gesuchten allgemeinen Urteilen erfolgt über die Vernunft, die das Allgemeine aus Speziellen zu extrahieren vermag:

„Folglich steht das Urteil über die Gesamtheit der Vernunft zu. Aber [aktiviert] über den Weg des Sinnes, oder durch die aufeinander folgende Wiederholung (takarrur) der Sinneswahrnehmungen.“[48]

Damit bekennt sich al-Ġazālī also einerseits zur Möglichkeit von Induktionsschlüssen und sieht deren Ergebnisse als legitime, gar als zwingende Prämissen für wissenschaftliche Beweise von Aussagen an. Gleichzeitig verortet er den Auslöser dieser Erkenntnis in der wiederholten Sinneswahrnehmung, ohne zu problematisieren, ab welchem Punkt der Übergang zum allgemeinen gesicherten Urteil erfolgt. Dabei besteht er weder auf mathematische Herleitungen, noch auf geometrische Gewissheit, sondern öffnet alle Bereiche einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung.

3.4 Sufistische Wende ohne Abkehr von Rationalität

Die obigen Auszüge, die alle aus der Zeit nach al-Ġazālīs biografischer Krise und seiner sufistischen Wende stammen, zeigen, dass er die Erkenntniskraft der Vernunft in Fragen der Sinneswelt zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt hat. Die Zuwendung al-Ġazālīs zum Sufismus hatte dennoch Folgen für seine Erkenntnistheorie. Mystische Erfahrung wird nun zum Schlüssel auch jene Dinge zu erkennen, die der bloßen Vernunftbetrachtung entgehen. So schreibt er in seiner Autobiografie :

„Was ich durch theoretische Wissenschaft lernen konnte, hatte ich mir angeeignet. Es blieb, was nicht durch Zuhören und Lernen, sondern durch [spirituelles] Schmecken (ḏawq) und Handeln zu erlangen ist. Durch meine Beschäftigung mit den von mir betriebenen Wissenschaften und eingeschlagenen Wegen entstand in mir im Untersuchen der beiden Arten der Wissenschaften, nämlich der religiösen und der rationalen, ein unerschütterlicher Glaube an den erhabenen Gott, an die Prophetie und an den Jüngsten Tag. Diese drei Glaubensgrundsätze sind in meiner Seele nicht durch einen bestimmten niedergeschrieben Beweis, sondern durch unzählige festverwurzelte Ursachen, Begleitumstände und Erfahrungen begründet, deren Einzelheiten nicht aufgezählt werden können.“[49]

So wie die Vernunft ein Auge auf die Welt öffnet, das den Sinnen stets verschlossen bleibt – etwa durch verallgemeinerte Erfahrung und intuitives Erkennen der logischen Axiome -, öffnet das Schmecken demnach Einsichten in Wahrheiten, die zwar geglaubt werden können, aber ohne absolute Gewissheit, da die Vernunft hierzu nicht die nötigen Beweismittel hat. In diese Sparte gehören sowohl religiöse Erfahrungen, als auch Visionen und sprachlich nicht benennbaren Zustände. Diese höhere Form der Erfahrung kann nach al-Ġazālī erlangt werden, indem der spirituelle Weg des Propheten praktiziert wird. Die mystische Erfahrung, die der Askese und der Gotteszuwendung folgt, lässt sich jedoch nicht ohne gravierende Fehler in Sprache fassen:

 

„Wer einen solchen Zustand erlebt, sollte nicht mehr darüber aussprechen als: Es geschah, was geschah, Ich erinnere es nicht. Als Gutes vermut‘ es, Erfrage es nicht.“[50]

 

Auch die absolute Erschließung der Wahrheit der Prophetenschaft Muhammads ist demnach nur durch ein solches mystisches Erleben („Schmecken“) möglich. Wem dies nicht möglich ist, der soll die Gesellschaft jener Menschen suchen, die die eindeutigen Indizien eines solchen Erlebens zeigen („Glaube“). Und wem dies nicht möglich ist, der sich soll durch eindeutige Beweise („Erkenntnis“) wenigstens von der Möglichkeit eines solchen Schmeckens überzeugen.[51] Interessant und auf Naturwissenschaft bezogen ist nun al-Ġazālīs Versuch die Existenz einer solchen der Vernunft nicht direkt zugänglichen Wahrheitsdimension, zu der auch das Prophetentum gehört, plausibel zu machen. So verweist er darauf, dass es auch in Wissenschaften der Astronomie und der Medizin Erkenntnisse gäbe, die nur durch göttliche Inspiration erlangt werden könnten:

„Denn unter den astronomischen Gesetzen gibt es welche, die sich in allen tausend Jahren ein einziges Mal bewahrheiten. Wie kann dies durch ein Experiment erfasst werden?“[52]

 

Auch wenn al-Ġazālī dieses Gesetz nicht konkret nennt oder diskutiert, so ist doch seine Einordnung für unsere Fragestellung spannend: Das erkannte astronomische Gesetz ist zweifelsohne von rationaler Art – und es bewahrheitet sich empirisch. Der Weg zu diesem Gesetz erfolgte hier im Unterschied zum letzten Abschnitt jedoch nicht durch wiederholte Erfahrung, sondern durch Inspiration. Das bedeutet: Auch in der Wissenschaft kann es wahre Sätze geben, die nicht aus der Erfahrung abgeleitet, sondern inspiriert sind. Dass die Vernunft nie lügt, bedeutet also nicht, dass es außerhalb der Vernunft und ihrer induktiven Tätigkeit keine weiteren Zugänge zu Wahrheit gäbe. Die so erschlossene Wahrheit zeigt sich darin, dass sie sich dann auch wieder empirisch bewahrheitet, wenn auch in allen tausend Jahren einmal. Die Prophetie wiederum ist nun eine höhere Qualität dieser auch Nicht-Propheten zugänglichen Inspiration. Und die Wahrheit des Propheten des Islams wird nun auf unzweifelhafteste Weise durch das Erproben des Muhammadanischen Weges erlangt:

 

„Überzeuge dich selbst durch die Ausübung dessen, was er über die Gottesdienste und ihren Einfluss auf die Reinigung des Herzens gesagt hat und wie er… in seiner Rede wahrhaftig war: ‚Wer gemäß seinem Wissen handelt, dem vermacht Gott das Wissen dessen, wovon er nichts weiß’…“ [53]

 

Ausgerechnet an dieser auf mystische Erfahrung abhebenden Stelle greift er wieder auf eine Art von empirischem Induktionsprinzip zurück:

 

„Wenn du all dies in tausend, zweitausend und abertausend Malen erprobst, so wirst du dir eine notwendiges Wissen erwerben, an dem du niemals zweifeln kannst.“[54]

 

In Abgrenzung von der ašʿarītischen Kalām-Tradition vor ihm relativiert er zugleich die Bedeutung von Prophetenwundern für die Beglaubigung des Prophetentums:

„Auf diesem Weg sollst du die Gewissheit der Prophetie erstreben, nicht aber durch die Verwandlung des Stocks in eine Schlange und durch die Spaltung des Mondes. Denn wenn du allein darauf schaust, ohne die vielen unzähligen Indizien hinzuzufügen, so wäre es möglich, dass du sie für Magie und Täuschung hieltest und es eine von Gott gelenkte Irreführung sei.“[55]

Der al-Ġazālī-Kenner Frank Griffel folgert aus weiteren seiner Aussagen sogar, dass die Prophetenwunder in der Konzeption al-Ġazālīs im Unterschied zum Kalām vor ihm keine Durchbrechung der Schöpfungsgewohnheiten Gottes darstellen, sondern nur ein Abweichen von den Dingen, die die Menschen gewohnt sind. Wunder finden demnach immer noch im Rahmen der Schöpfungsgewohnheiten Gottes, also der Naturgesetze, statt, mit denen die Propheten und ihr Wirken auf eine besondere Weise verbunden sind.[56]

 

 

4. Die Grenzen der Toleranz und die Verurteilung der Philosophen

Nachdem wir die existenzielle Rolle von Vernunft und philosophischer Logik in der Theologie al-Ġazālīs umrissen haben, wollen wir uns nun seiner paradox anmutenden Ablehnung der Philosophie widmen, dessen tragischen Höhepunkt seine Verurteilung der islamischen Aristoteliker als Apostaten darstellt. Wir wollen insbesondere herausarbeiten, wie dies mit den bisherigen Betrachtungen in Einklang zu bringen ist, und welche weiteren Faktoren zu dieser Entwicklung beitragen haben.

4.1 Die Verurteilung der Philosophen

Al-Ġazālī nennt im Vorwort seiner Philosophiekritik drei Konfliktbereiche zwischen den islamischen Aristotelikern im Gefolge von Abū Naṣr al-Fārābī (gest. 950) und dem als Avicenna bekannt gewordenen Abū ʿAlī ibn Sīnā (gest. 1037)  auf der einen und den Vertretern der weiteren islamischen Richtungen auf der anderen Seite.[57] Der erste Bereich betrifft Fragen der Definition und Verwendung von theologischen Begrifflichkeiten und stellt keinen fundamentalen Streitpunkt dar. Der zweite Bereich umfasst Scheinkonflikte zwischen Philosophen und Theologen, die aus unzureichenden Kenntnissen auf Seiten der Theologen über die gesicherten Erkenntnisse der philosophischen Wissenschaften resultieren, zu denen vor allem auch die Naturwissenschaften gehören. Diesen Bereich haben wir in Abschnitt 3 ausführlich dargestellt. Der dritte Bereich wiederum umfasst jene Thesen der Philosophen, die laut al-Ġazālī das Fundament des Glaubens berühren und sie in einen unweigerlichen, jedoch unterschiedlich starken Widerspruch zur religiösen Lehre führen. Genau diesem dritten Bereich sind die zwanzig Kapitel seiner Kritik gewidmet, die sich ausschließlich rationaler Argumente bedienen und somit ihrerseits philosophisch argumentieren. Al-Ġazālīs umfangreiche Gedankengänge zielen teils auf Widerlegung und teils auf den Nachweis fehlerhafter Beweisgänge in den philosophischen Systemen seiner Gegner ab. Kaum eine seiner scharfsinnigen Überlegungen erreichte aber annähernd die Popularität seines ebenso knappen wie schockierenden Fazits am Ende dieses Buches über den islamrechtlichen Status der islamischen Aristoteliker aufgrund von dreien ihrer problematischen Thesen:

Wenn jemand sagt: ‘Ihr habt nun deren Sichtweisen [d. h. der Philosophen] ausführlich dargelegt. Sagt ihr dann auch mit Gewissheit, dass sie ungläubig sind, und dass es notwendig ist diejenigen zu töten, die wie sie glauben?‘, dann sagen wir:
In drei Angelegenheiten ist es unvermeidlich sie des Unglaubens zu bezichtigen, nämlich
(1) in der Angelegenheit der ewigen Anfangslosigkeit der Welt und in ihrer Aussage, dass alle Substanzen seit Ewigkeit existieren,
(2) zweitens in ihrer Aussage, dass Gott kein Wissen von den zeitlich entstandenen Einzelheiten der Individuen besitzt,
(3) und drittens in ihrer Leugnung der Wiederauferstehung der Körper und ihrer Versammlung [zum jüngsten Gericht nach dem Tod]
.“[58]

Alle drei Punkte betreffen in der damaligen Systematik wohlgemerkt die philosophische Disziplin der Metaphysik (ilāhiyāt), also nicht die der Mathematik oder Naturwissenschaft. Doch wie konnte zu einem solchen harten Urteil kommen? Die islamischen Philosophen rechtfertigten ihre häufigen Abweichungen ihrer theoretischen Ansichten vom Wortlaut des Korans und des Hadith durch Verweis auf philosophische Beweisführungen, die mit Gewissheit die Richtigkeit ihrer Positionen belegen sollten, bei gleichzeitiger metaphorischer Auslegung der gegenteilig klingenden koranischen Passagen und Hadithe. Für al-Ġazālī hingegen sind die Auslegungen der Philosophen zu diesen drei Punkten nicht zulässig. Der Grund ist, dass für ihn die von den Philosophen vorgelegten rationalen Beweise fehlerhaft seien, dass die Philosophen also weder über rationale, noch über empirische Beweise für ihre problematischen Thesen verfügten. Zur Beschränktheit von Gottes Wissen auf die Universalia, zur nicht körperlichen Natur des Jenseits und zur ewigen Anfangslosigkeit der Schöpfung haben die Philosophen demnach keinen rationalen Beweis vorgebracht, der eine metaphorische Umdeutung der entsprechenden Quellen im Sinne der Philosophen legitimieren könne. Schon in seiner Philosophiekritik heißt es, es sei die bloße Imitation ihrer antiken Vorbilder, die die Philosophen zum Unglauben gebracht hätte, und nicht etwa ein zwingender Beweis.[59] Nun könnte man einwenden, dass Vertreter einer mutmaßlich fehlerhaften Auslegung doch wenigstens als „Irrende“ oder „Neuerer“ toleriert werden könnten, wie es in Abschitt 3.2 dargestellt wurde. Da die kritischen Punkte jedoch laut al-Ġazālī den Kernbereich des Glaubens betreffen, sei in diesen speziellen Fällen eine Fehlauslegung nicht tolerierbar, was ihn mit scheinbarer Folgerichtigkeit zu seinem Apostasieurteil führt.

Sowohl der Richtigkeit von al-Ġazālīs Darstellung dieser drei den Philosophen zugeschriebenen Positionen, als auch seiner pauschalen Deutung derselben als Unglaube oder gar als mit der Todesstrafe zu ahndendem Abfall vom Islam ist bis heute unter verschiedensten Gesichtspunkten immer wieder widersprochen worden, was hier jedoch nicht vertieft werden kann.[60] Dennoch hat seine Positionierung nicht nur die islamische Philosophie nach ihm unter einen massiven inhaltlichen Zugzwang gebracht, sondern auch den Ruf des von den alten Griechen adaptierten Konzepts „Philosophie“ in vielen islamisch-religiösen Kreisen bis heute nachhaltig beschädigt. Es bleibt zu erklären, warum al-Ġazālī sein ausdifferenziertes Modell vom Beweis und von innerislamischer Toleranz nicht verwendet hat um die Philosophen als gerade noch legitimiert auszuweisen, während ihm dies für andere rationalistische Gruppen jedoch problemlos gelang. Da man ferner auch in Frage stellen kann, inwiefern ausgerechnet die drei besagten Thesen so große Verfälschungen von Glaubensfragen darstellen, dass sie eine Verurteilung zum Tode rechtfertigen sollen, ist es angebracht an dieser Stelle einen Exkurs zum historischen Hintergrund zu al-Ġazālīs Einschätzung einzuschieben.

4.2 Zum historischen Hintergrund von al-Ġazālīs Urteil

Das 11. Jahrhundert des abbasidischen Reiches, in dem al-Ġazālī lebte und wirkte, zeigt sich rückblickend als eine Zeit der tiefen politischen, intellektuellen und religiösen Krisen sowohl innerhalb des Reiches, als auch hinsichtlich ihrer Bedrohung durch äußere politische Gegner. Al-Ġazālī war zu dieser Zeit ein angesehener und schon zu Lebzeiten sehr einflussreicher islamischer Gelehrter, der vom obersten seldschukischen Wesir Niẓām al-Mulk (gest. 1092) vier Jahre vor seiner Streitschrift gegen die Philosophen zum Lehrstuhlinhaber in Bagdad berufen worden war. In al-Ġazālī sah Niẓām al-Mulk seinen wichtigsten theologischen Beistand beim Versuch die gesellschaftlichen Krisen unter Kontrolle zu bekommen und zugleich ein nicht zu eng verstandenes Sunnitentum als ideologisches Zentrum des Reiches zu etablieren. Nahezu alle theologisch relevanten Gruppen hatten sich bisher aufgrund inhaltlicher Differenzen regelmäßig gegenseitig zu Ungläubigen erklärt und es kam häufig zu verbalen und gewalttätigen Eskalationen. Ein gewichtiges Problem waren die seit langem anhaltenden Spannungen zwischen den Sunniten und Schiiten in Bagdad, an die Räuber-Milizen anknüpfen konnten und heftige Straßenschlachten zwischen den Vierteln Bagdads aufrührten. Als im Jahre 1003 der oberste Militär des buyīdischen Großemirs, der im Dienste des Kalifen stand, nach einer Phase sunnitisch-schiitischer Straßenschlachten zur Herstellung der Ordnung nach Bagdad kam

„…hatte sich die Stadt aus Angst vor ihm geschmückt. Er griff hart unter den Milizen durch und band jeweils einen schiitischen Milizionär mit einem sunnitischen zusammen und ersäufte beide von den Augen der Menschenmenge im Tigris.“[61]

Die rationalistischen Muʿtaziliten wurden von den Hanbaliten für ungläubig erklärt. Die Ismāʿīliten galt den meisten seit langem schon als definitive Ungläubige. Auch die islamischen Philosophen wurden von vielen Gruppen des Unglaubens bezichtigt. Selbst die ungebildeten Volksmassen wurden im Zorn der theologischen Dispute zu Ungläubigen erklärt – diesmal von den Ašʿariten, die wiederum von den Hanbaliten als Ungläubige angesehen wurden. Selbst der Kalif beteiligte sich seit 1018 zunehmend an der extremen Politisierung theologischer Differenzen, aus denen sich später unter Niẓām al-Mulk wieder eine relativ integrative Religionspolitik entwickelte. Niẓām al-Mulk wollte die Parteien miteinander aussöhnen und wurde dabei maßgeblich von al-Ġazālī unterstützt. Bei der Festlegung der noch tolerablen Gruppen fiel die Wahl der nicht mehr zu tolerierenden Extreme letztlich auf die Ismāʿīliten und die Aristoteliker. Neu war in Bagdad nicht, dass Gruppen zu Ungläubigen erklärt wurden, sondern dass ein staatsnaher Gelehrter erstmals die Philosophen einer Verfolgung als Apostaten preisgab.

Dabei waren die Ismāʿīliten eindeutig das objektivere Problem für das Reich. Bei ihnen handelte es sich um eine schiitische Abspaltung, die einst in Form des Fatimidenreiches mit seinem Zentrum in Kairo[62]  und zu Zeiten al-Ġazālīs in der Person Hasan Ṣabbaḥs[63] das Abbasidenreich herausforderte. Es war ihnen gelungen mit einer stillen aber wirksamen ideologisch-religiösen Missionierung in allen Bevölkerungsschichten der Sunniten Anhänger zu gewinnen, was zunehmend zu Angst und zu unverhältnismäßigen Reaktionen gegen jeden führte, der in Verdacht stand für die Ismāʿīliten zu arbeiten. Laut den ismāʿīlitischen Gelehrten war theologische Wahrheit nicht in den endlosen Gelehrtendisputen oder im rationalen Argumentieren zu finden, sondern der eigentlich Sinn des Korans war esoterischer Art und lag somit in einer verborgenen Form (arabisch: bāṭin) vor, die die ungeleiteten Theologen nicht erkennen konnten. Dieses Verfehlen der theologischen Wahrheit konnte laut den Ismāʿīliten, die in sunnitischen Texten meist als Baṭiniten bezeichnet werden, nur umgangen werden, wenn man die religiöse Autorität des unfehlbaren Imam anerkannte, der den wahren und verborgenen Sinn des Korans kannte.[64] Dieser unterstellte Sinn delegitimierte die gesamte sunnitische Theologie und somit auch das abbasidische Kalifat und setzte die fatimidische Herrschaft absolut. Zugleich dehnten die Ismāʿīliten ihr Herrschaftsgebiet auf dem Boden des Abbasidenreiches militärisch aus und eroberten strategisch wichtige Festungen.

Einer von Ṣabbāḥs Anhängern ermordete schließlich im Jahre 1092 Niẓām al-Mulk und löste damit eine regelrechte Panik aus. Der folgende interne Machtkampf schickte sich an das gesamte Reich zu destabilisieren.[65] Die mit der Ermordung Niẓām al-Mulk s sichtbar gewordene und womöglich allgegenwärtige Gefahr machte es erforderlich, sowohl Gelehrte, als auch die breite Masse vom Irrtum der ismāʿīlitischen Lehre zu überzeugen. Diesem Zweck schrieb Al-Ġazālī fünf Bücher gegen die Ismāʿīliten, wobei das erste aus dem Jahre 1094 stammt. Darin ist unter anderem dargestellt, warum die Ismāʿīliten nach al-Ġazālī außerhalb des Islams stehen und verfolgt werden müssen. Analog zur in Abschnitt 3 dargestellten Argumentation warf er den Ismāʿīliten vor Koranverse und Hadithe zu zentralen Glaubensfragen ohne Vorliegen eines zwingenden rationalen Grundes metaphorisch umzudeuten und somit auszuhöhlen. So verstanden die Ismāʿīliten die Koranverse zur Wiederauferstehung nach dem Tode als Allegorie für die kommende paradiesische Herrschaft des fatimidischen Imams auf Erden.[66] Diese Argumentation al-Ġazālīs ist exakt dieselbe, mit der er die kurze Zeit später erfolgende Verurteilung der Philosophen begründete. Griffel konstatiert:

„Die Stimmung in den Jahren nach …1092 führte zu einer noch strengeren Anwendung des Apostasieurteils gegen vermeintliche Ungläubige. Die Verfolgungen waren neben den Ismāʿīliten auch und vor allem gegen die islamischen Philosophen gerichtet. Die islamische Philosophie geriet in einen Sog religiöser Verfolgung, der durch die Bāṭiniten-Hysterie nach …1092 ausgelöst wurde.“ (Griffel (2000:256).

Eine Rolle für diese merkwürdige Zusammenlegung der beiden Gruppen könnte spielen, dass die ismāʿīlitische Lehre Elemente enthielt, die sie mit den Philosophen gemeinsam hatten. Die

„… Lehre der Ismāʿīliten übte auch eine große Anziehungskraft auf philosophische Gelehrte aus, denn sie enthielt eine Reihe von neuplatonischen Elementen, die in Einklang mit dem Neuplatonismus der arabischen peripatetischen Tradition standen.“[67]

Eine vergleichbare Brücke kann ferner darin gesehen werden, dass es meistens iranische und dabei insbesondere dem Schiitentum nahestehende Höfe gewesen waren, die die islamische Philosophie gefördert hatten. Diese repräsentierten ein soziales Milieu, das in Bagdad einst politisch mächtiger als das der sunnitischen Hanbaliten und der Ašʿariten war. Mit dem Rückgang des Einflusses der der Philosophie zugewandten persischen Buyīden und der Machtübernahme durch die Seldschuken im Abbasidenreich wurde es leichter die Philosophen in die Nähe der schiitischen Ismāʿīliten zu rücken und auszugrenzen. Diese Zusammenhänge erklären zum Teil, warum beispielsweise die rationalistischen Muʿtaziliten von al-Ġazālī und Niẓām al-Mulk geduldet wurden, aber die ebenfalls rationalistischen Philosophen der Verfolgung preisgegeben wurden. Wenn Griffel Recht hat, dann entzündete sich das Urteil in letzter Konsequenz daran, dass in al-Ġazālīs Vorstellung mit einer zunehmenden Vergeistigung des Jenseitsverständnisses dem breiten Volk der Antrieb verloren gehen würde die religiösen Gebote und Verbote zu achten.[68] Man kann dennoch anzweifeln, ob die schwer verständliche und kaum jemandem zugängliche Metaphysik einer kleinen Bildungselite wirklich je einen solch zersetzende Macht auf die Volksfrömmigkeit hätte entwickeln können. Jedenfalls wird erst mit der Festlegung einer sunnitischen Mitte der Gesellschaft durch die Politik, und mit dem Bedürfnis derselben nach gemeinsamen ideellen Feinden, und der geschwundenen Rückendeckung der Philosophen durch die Zurückdrängung der Buyīden durch die Seldschuken sowie aufgrund einiger Parallelen der Philosophen zu den Ismāʿīliten verständlich, wie aus al-Ġazālīs Verdacht ein Todesurteil werden konnte.

In jedem Fall scheint es als Fazit notwendig zu sein den Wissenschaftstheoretiker al-Ġazālī, der auf der Suche nach Wahrheit und Gewissheit ist, analytisch zu unterscheiden vom Politiker al-Ġazālī, der sich um mehr innerislamische Toleranz bemüht und dabei nicht davor zurückschreckt ein politisch wirksames gemeinsames Feindbild zu kreieren. Mit dieser Unterscheidung lässt sich auch al-Ġazālīs Haltung gegenüber die philosophischen Disziplinen besser nachvollziehen.

4.3 Ablehnung der philosophischen Wissenschaften durch al-Ġazālī

Wenn man die positive Haltung al-Ġazālīs zu Verlässlichkeit rationaler und naturwissenschaftlicher Erkenntisse in Rechnung stellt, dann ist man verwirrt über seine ablehnenden Äußerungen zu den rationalen Wissenschaften. Erstaunlicherweise verwendet er dabei überwiegend psychologische und soziologische Argumente, was auf die politische Intention seiner Kritik hindeutet. So warnt er in seiner Autobiografie vor einem aktiven Betreiben der mathematischen Wissenschaften (Arithmetik, Geometrie und Astronomie) der Philosophen, da die Erfolge dieser Wissenschaften dermaßen beeindruckend seien, dass ein naiver Bewunderer sich dazu verleiten lassen könnte auch den (unterstellten) Unglauben der Philosophen zu übernehmen. Die Mathematik werde – als Fundament der Philosophie – aufgrund der Bosheit der Philosophen zu einem Übel, sodass es selten sei…


„… daß sich jemand auf dieses Übel einläßt, ohne dass er sich von der Religion entfernt und ihm die Zügel der Frömmigkeit entgleiten.“
[69]

Al-Ġazālī ist natürlich bewusst, dass er selbst es ist, der vielfach die Ergebnisse genau dieser Wissenschaften gegenüber den Theologen verteidigt. Aber selbst diesen Zusammenhang formuliert er als ein Übel, das letztlich von der Philosophie ausgehe. Dieses zweite Übel bestünde darin, dass ein naiver Gläubiger aufgrund fehlender Differenzierung die Inhalte der Wissenschaften der Philosophen als Ganzes als Irrtum verneinen könnte – und dadurch den Glauben in einen unmittelbaren Konflikt mit den „gesicherten Angelegenheiten“ der Naturwissenschaften bringen würde.[70] Al-Ġazālīs Kritik an der Metaphysik der Philosophen wurde schon im Abschnitt zur Verurteilung der Philosophen thematisiert:

„Hier finden sich die meisten Irrtümer der Philosophen. Sie konnten den Beweisen nicht treu bleiben, deren Bedingungen sie in der Logik aufgestellt haben.“[71]

Die empirischen Inhalte der Naturwissenschaft bleiben konsequenterweise von Kritik verschont. Nur die unterstellten Tendenzen Gott als Schöpfer in den Hintergrund zu stellen wird kritisiert.[72] Den Politikwissenschaften und die ethischen Wissenschaften widerspricht er auch nicht, aber hält den Philosophen vor, dass sie die entsprechenden Inhalte „den göttlichen Büchern“[73] bzw. „den Abhandlungen der Mystiker“[74] entnommen hätten. Selbst die von al-Ġazālī intensiv verbreitete philosophische Logik laufe, so wie sie von den Philosophen betrieben wird, Gefahr Skeptizismus zu befördern. Und den im Wesentlichen gültigen Gehalt der Logik gäbe es ja ohnehin ja schon bei den Theologen.[75]  Abschließend folgt nochmals eine ausführlichere Erläuterung sowohl des Risikos mehr in der Philosophie abzulehnen, als rationalerweise abgelehnt werden darf, als auch des Risikos aufgrund einer Beeindruckung durch Philosophie mehr davon anzunehmen, als der Gläubige aufgrund seines Glaubens annehmen darf. Erschütternd sind auch folgende Worte aus der Einleitung in seine Rechtshermeneutik:

Die Wissenschaften sind von dreierlei Art: (es gibt zum einen die) von rein rationaler Art, zu denen das Religionsgesetz weder anspornt, noch sie empfiehlt, wie die Arithmetik, die Geometrie, die Astronomie und [andere] diesen ähnelnde Wissenschaften; diese befinden sich zwischen untauglichen trügerischen Vermutungen – [Hadith:] „und so manche Vermutung ist Sünde“ und zwischen wahrem Wissen ohne Nutzen – [Hadith:]„und wir flüchten uns zu Gott vor nutzlosem Wissen“[76]

Diese Formulierungen sind überraschend, weil al-Ġazālī einige Seiten später in seinem Vorwort zur Logik wie in Abschnitt 3.3 gezeigt ausführlich auf die absolute Verbindlichkeit von Erfahrungswissen eingeht, das von ebenso „rein rationaler“ Art ist wie das hier abgelehnte Wissen. Ferner waren es gerade Geometrie und Arithmetik, die Beweise lieferten, die nach al-Ġazālī in der Frage der Sonnen- und Mondfinsternisse das letzte Wort sprachen. Diese Worte überraschen aber auch, weil al-Ġazālī noch in seiner berühmtem „Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften“ nach seiner sufistischen Wende die hier abgelehnte Wissenschaft der Arithmetik (ḥisāb) zusammen mit der Medizin und anderen praktischen Wissenschaften zu jenen Wissenschaften zählte, deren Aneignung ein farḍ kifāya, also eine Pflicht des Genügens auf die muslimische Gemeinschaft sei: Zur Bewältigung der irdische Bedürfnisse der Gemeinschaft muss demnach eine Gruppe von Muslimen diese Wissenschaften erlernen, da sich sonst die gesamte Gemeinschaft vor Gott der Nachlässigkeit schuldig macht.[77] Es ist erstaunlich, wie diese Differenzierungen hier verloren gehen. Und doch ist al-Ġazālīs pauschale Ablehnung hier rein rhetorisch zu verstehen: Denn wenige Zeilen später wirbt er mit Nachdruck für die im Buch behandelte Wissenschaft der Rechtshermeneutik (uṣūl al-fiqh), die rationale und religiöse Reflexionen miteinander verbinde, wie er berechtigterweise festhält. Offensichtlich sollen die Leser für die hier verhandelte Wissenschaft gewonnen werden, was voraussetzt, dass sie sich den „rein rationalen“ Wissenschaften verschließen.

4.4 Gründe seiner Ablehnung der rationalen Wissenschaften

Was hat es mit dieser bis ans Ende seines Lebens ablehnenden Haltung gegenüber jenen Wissenschaften, deren Erkenntnisse er gleichzeitig und oft in denselben Werken bis aufs Letzte gegen dogmatische Theologen verteidigt, auf sich? Erneut muss man hier unterscheiden zwischen dem Wissenschaftstheoretiker al-Ġazālī, der sich alleine für die wissenschaftlichen Inhalte und Argumente interessiert, und dem (Bildungs-)Politiker al-Ġazālī, der die Milieus der damaligen Philosophen bzw. Naturwissenschaftler offensichtlich für einen schlechten Umgang für die wenig Gebildeten und leicht Beeinflussbaren unter den Muslimen hält. Während er als Wissenschaftstheoretiker nichts unversucht lässt um die Theologen an die Methoden und Denkweisen zahlreicher philosophischer Denkfiguren wie die Syllogismen oder die naturwissenschaftliche Erklärungen für Sonnen- und Mondfinsternisse heranzuführen, lässt er als (Bildungs-)Politiker nichts unversucht, um die breiten Volksmassen, aber auch die angehenden Theologen vor der offensichtlich überwältigenden Ausstrahlung der Philosophen und ihrer offensichtlich weniger frommen Milieus fernzuhalten.[78] Ein weiterer Faktor muss die zunehmende Unglaubwürdigkeit mancher Gelehrter in den Augen des Volkes gewesen sein, die zum Ausgleich eine noch stärkere Fokussierung auf die ungünstigen Seiten der Philosophen und ihrer Wissenschaften erforderte. Erst auf der allerletzten Seite seiner Autobiografie stellt sich al-Ġazālī diesem Problem der „Schwäche des Glaubens durch das anstößige Leben der Gelehrten“[79], die offensichtlich das „Verbotene verschlangen“, während sie gleichzeitig dem Volk Frömmigkeit und Gehorsam predigten. Al-Ġazālī bemüht sich nach Kräften diese Fehltritte als menschliche Schwäche zu relativieren, zu entschuldigen und den Blick auf das Positive an den Gelehrten zu lenken. Leider vermisst man diese Empathie al-Ġazālīs gänzlich, sobald es um das „anstößige Leben“ bestimmter Philosophen geht.

Letztlich hat sich al-Ġazālī, dem es nicht nur um Wahrheit, sondern auch um Religions- und Bildungspolitik ging, im Wettkampf der Milieus genau gegen jene Kreise positioniert, denen er entscheidende Beiträge zu seiner eigenen rationalen Theologie schuldig war. Er versucht jedoch öffentlich jeden Anschein einer Anerkennung der Leistungen der Philosophen zu vermeiden. Und während er selbst nicht offen über seine tiefe philosophische Prägung durch den Aristotelismus avicennischer Prägung spricht, wirft er den Philosophen in nahezu allen inhaltlich akzeptablen Punkten vor diese nicht ihrer Vernunftreflexion, sondern der Offenbarung oder den Sufis entnommen zu haben. Denn von den Philosophen, als soziales Milieu betrachtet, kann nur Übel kommen – so möchte er die Philosophen von allen gesehen wissen. Zugleich wirft dies aber auch ein ungünstiges Bild auf die Theologen um al-Ġazālī, die nach seinem Dafürhalten erst durch eine regelrechte Manipulation davor bewahrt werden können nicht verfrüht ihre soziale Identität aufzugeben. Al-Ġazālī, der in den meisten Toleranzfragen einen weisen Bildungspolitiker abgibt und die Thesen der Philosophen gründlich studiert und differenziert kritisiert hatte, erweist sich bei seinem Versuch der sozialen Abgrenzung vom Milieu der Philosophen als polarisierender Agitator jenseits der Regeln der Fairness.

 

 

5. Das Fortleben der Philosophie nach al-Ġazālī

Trotz dem teils nachvollziehbaren Eindruck von al-Ġazālī als eines Feindes oder gar Zerstörers der Philosophie ist dieses Bild unzutreffend und gilt in der Islamwissenschaft als überholt.[80] Zum einen war es wie gezeigt al-Ġazālī selbst, der in den Jahren nach der Veröffentlichung seiner Philosophiekritik wichtige Teile der Philosophie in die islamische Theologie zu integrieren versuchte, da er diese als allgemeines Gut des vernunftbegabten Menschen betrachtete, das sich zudem auch von den Propheten herleiten ließe.[81] Hier sind insbesondere die von Avicenna vermittelten und letztlich auf Aristoteles zurückführbaren Lehren von korrekten Definitionen, logischen Schlussfolgerungen und dem wissenschaftlichen Beweis zu nennen, die in diesem Beitrag behandelt wurden.[82] Ulrich Rudolph konstatiert, dass mit al-Ġazālī

…die meisten islamischen Gelehrten […] von jetzt an die aristotelische Logik als methodische Grundlage anerkannten.[83]

Nicht zuletzt durch das Wirken namhafter Gelehrter wie Faḫr al-Dīn al-Rāzī (gest. 1209) kam es für mehrere Jahrhunderte zu einer Etablierung der Logik im Curriculum der höheren islamischen Bildung an der Madrasa. Aufgrund der engen Verbindung zwischen Fragen der Logik und Metaphysik wurde nun zunehmend „in den Prolegomena zur Theologie […] die philosophische Ontologie verhandelt.“[84]  Die Philosophie selbst, die trotz ihrer Entwicklungen weiterhin die nunmehr oft anonymisierte Prägung durch Avicenna trug, überlebte auf vielfältigen Wegen Ġazālīs Angriff. Nach Rudolph kann man gar „festhalten, dass die Philosophie in der islamischen Welt nach 1200 keineswegs stagnierte, sondern eher an Bedeutung und Resonanz gewann.“[85] Der auch nach al-Ġazālī über mehrere Jahrhunderte während Prozess von Aneignung, Kritik, Differenzierung und Weiterentwicklung islamischer Philosophie in verschiedenen Teilen der islamischen Welt ist noch bis über das 16. Jahrhundert hinaus dokumentiert. So sind im 15. Jahrhundert im Osmanischen Reich philosophische Lehrwerke an den Hochschulen nachweisbar, ebenso ein Interesse des als Eroberer Istanbuls berühmt gewordenen Sultans Mehmed II. an der Frage, wer in der Kontroverse zwischen al-Ġazālī und Ibn Sīnā denn nun wirklich im Recht gewesen war.[86]

 

 

6. Fazit

Das Fazit dieses Beitrags soll hier in sieben Thesen verdichtet werden:

1. These: Unterscheide den Wissenschaftstheoretiker al-Ġazālī vom (Bildungs-)Politiker al-Ġazālī

Zahlreiche Widersprüche und Gegensätzlichkeiten im Werk und Wirken al-Ġazālīs im Kontext der philosophischen Wissenschaften lösen sich auf, sobald man die teils gegensätzlichen Zielsetzungen der Rollen al-Ġazālīs als Wissenschaftstheoretiker und als Politiker bzw. Bildungspolitiker betrachtet.

These 2: Al-Ġazālī hat der Rolle der beweisenden Vernunft in naturwissenschaftlichen und logischen Fragen den Vorzug vor Beweisführungen auf der Basis religiöser Primärtexte gegeben

Dieses Motiv zieht sich durch alle seine Werke bis an sein Lebensende durch. Selbst nach seiner sufistischen Wende ist keine Abkehr  von der Verlässlichkeit der beweisenden Vernunft festzustellen, solange es um empirische Fragen geht.

These 3: Al-Ġazālī geht von einer Gleichförmigkeit der Gesetzmäßigkeiten in der Natur aus

Die Tatsache, dass laut al-Ġazālī sinnlich anhebendes Erfahrungswissen auf die Erkenntnis von allgemeinen Prinzipien führt, die ihrerseits als Prämissen in Syllogismen anerkannt werden müssen, lässt den Rückschluss zu, dass er von einer Gleichförmigkeit und Berechenbarkeit der Welt ausging, also von der Existenz von für uns verlässlichen Naturgesetzen. Dieses Vertrauen in die erkennbaren Gesetzmäßigkeiten ist unabhängig von der Frage, welche metaphysischen Status diese Gesetzmäßigkeiten haben und wie genau man sich die theistisch gedachte Interaktion Gottes mit seiner Schöpfung vorstellen muss.

These 4: Eine metaphorische Deutung empirisch relevanter Passagen in Koran und authentischem Hadith ist auch beim Vorliegen „nur“ empirischer Regelmäßigkeit möglich

Wie wir sahen, bilden logische, mathematische und geometrische Gewissheiten nur den Gipfel der gesicherten Erkenntnisse bei al-Ġazālī. Dieser gesteht auch rein phänomenologisch erschlossenen Gesetzmäßigkeiten den Status von Gewissheit zu, was laut ihm ein Kriterium für metaphorische Auslegungen ist, die nicht den Kern des Glaubens negieren.

These 5: Die Verurteilung der Philosophen zu Apostaten war eine vermeidbare Fehlentscheidung

Gemessen am Gewicht des Urteils lassen sich zu viele Gegenargumente und Bedenken gegen seine juristisch fatale Schlussfolgerung ziehen, als dass al-Ġazālīs Verurteilung als notwendig oder folgerichtig gelten könnte. Stellt man in Rechnung, dass selbst heute noch weite muslimische Kreise unter Berufung auf al-Ġazālī ein undifferenziertes und ablehnendes Bild von Philosophie im weit über die längst überholten Thesen der Aristoteliker hinausgehenden Sinn haben, wird die problematische Seite von al-Ġazālīs politisch konnotiertem Wirken sichtbar.

These 6: Al-Ġazālī hat ein auch heute noch interessantes Aussöhnungsmodell von Vernunfterkenntnis, Glaube und Spiritualität formuliert, jedoch keines für die Aussöhnung von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft als sozial getragene Gesamtsysteme

Die genannten Wissenschaften repräsentierten damals unterschiedliche soziale Milieus, die einander offensichtlich als Rivalen gegenüberstanden. Al-Ġazālī sah die bittere Notwendigkeit Inhalte dieser Wissenschaften zu verbinden. Aber seine Furcht vor möglichen zersetzenden Wirkungen der philosophierenden Bildungseliten und Naturwissenschaftler auf Theologen sowie auf das breite Volk hielten ihn davon ab diese sozial oder theologisch als gleichwertige Muslime anzuerkennen. Es ist klar, dass ein solches Gesellschaftsmodell weit von unserer heutigen Bildungssituation und politischen Realität entfernt ist.

These 7: In der zeitgenössischen Vereinbarkeitsfrage von Religion und Naturwissenschaft steht al-Ġazālīs exegetisches Verständnis dem Unabhängigkeitsmodell nahe

Durch seine weitgehende Trennung von Metaphysik und empirischer Wissenschaft, sowie durch die einseitige Bereitschaft religiöse Texte im Lichte naturwissenschaftlicher Erkenntnisse metaphorisch umzudeuten ohne diese jedoch naturwissenschaftlich aufzuladen, ist al-Ġazālīs exegetisches Erkenntnismodell im Viererschema von Ian Barbour am ehesten dem Modell der Unabhängigkeit zuzuschreiben.[87] Demnach handeln Religion und empirische Naturwissenschaft im Grunde von zwei getrennten Dingen. Al-Ġazālī zieht somit die religiösen Texte aus dem Konfliktbereich mit der beweisenden Naturwissenschaft, aber macht sie dafür umso stärker für die religiöse Lebensführung und Frömmigkeit. Diese prinzipielle Bereitschaft zur pragmatisch gemeinten Trennung der Domänen von Religion und rein empirisch verstandener Naturwissenschaft sowie die Idee einer Toleranz gegenüber nicht existenziellen Fehlinterpretationen von religiösen Texten macht ihn auch für die islamische Moderne als Inspiration für ergebnisoffene Forschung  interessant. Wenn es dann konkret wird, ist freilich zu berücksichtigen, dass sich alle seine Referenzwissenschaften spätestens in der Moderne erheblich verändert und weiterentwickelt haben, sodass die heute nötige Orientierung auch unter den Bedingungen von heute formuliert und entwickelt werden muss.

These 8: al-Ġazālī bietet sich als Vorbild für eine zeitgenössische analytische islamische Theologie an

Al-Ġazālīs Streben nach logischer und begrifflicher Präzision in allen Bereichen der theoretischen Reflexion, wäre in der heutigen Zeit zahlreicher islambezogener Diskurse, die von tiefen gesellschaftlichen Konflikten, von identitätsbezogenener Zerrissenheit und von etlichen inhaltlichen Unklarheiten geprägt sind, eine sehr wichtige und hilfreiche Perspektive für die logische Strukturierung und Transparentmachung des gesamten islamisch-theologischen Diskurses.

 

 

 

Literatur

·       Aristoteles / Hans Günter Zekl (Hg.) (1998): Erste Analytik. Zweite Analytik (griechisch-deutsch). Band 3/4. Hamburg.

·       Averroes (Ibn Rušd)  / Franz Schupp (Hg.) (2009). Die entscheidende Abhandlung und die Urteilsfällung über das Verhältnis von Gesetz und Philosophie (arabisch/deutsch). Hamburg.

·       Aydın, Mehmet Selim (2000). Islâm Felsefesi Yazıları. Istanbul.

·       Barbour, Ian G. (2010): Naturwissenschaft trifft Religion. Gegner, Fremde, Partner? (aus dem Englischen). Göttingen/Oakville

·       Bigliardi, Stefano (2014): Islam and the Quest for Modern Science – Conversations with Adnan Oktar, Mehdi Golshani, Mohammed Basil Altaie, Zaghloul El-Naggar, Bruno Guiderdoni and Nidhal Guessoum. Istanbul: Swedish Research Institute in Istanbul, 2014.

·       Saari, Che. (1999). A Chronology Of Abu Hamid Al-Ghazali’s Life And Writings. Journal of Usuluddin, Vol 9, S. 57-72.

·       Al-Fārābī, Abū Naṣr / ʿAlī Bū Malḥam (Hrsg.) (1996): Iḥṣāʾ al-ʿŪlūm ʿAlī Bū Malḥam. Beirut.

·       Forst, Rainer: Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend. Frankfurt/New York: 119-143.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Ṭabāna, Badawī (Hg.) (1957): Iḥyāʾ ʿUlūm ad-Dīn. Kairo, Bd. 1.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Ṣalībā, Ǧamīl (Hg.)/ ʿAyyād, Kāmil (Hg.) (1967): al-Munqiḏ min aḍ-Dalāl. Beirut.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Abū al-ʿIlā, Muḥammad Muṣtafā (Hg.) (1971): al-Mustaṣfā min ʿIlm al-Uṣūl. Kairo.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Sulaimān, Dunyā (Hg.) (1980): Tahāfut al-Falāsifa. Kairo.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Elschazlī, ʿAbd-Elṣamad ʿAbd ElḤamīd (1988): Der Erretter aus dem Irrtum. Hamburg.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥamīd (1988b): Qanūn at-Taʾwīl. In: Al-Ġazālī, Abū Ḥamīd  / Šams ad-Dīn, Aḥmad (Hg.): Maǧmūʿat Rasāʾil al-Imām al-Ġazālī. Beirut.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Maḥmūd Bijou (Hg.) (1992): Fayṣal at-tafriqa bayna al-Islām wa-z-zandaqa. Ort unbekannt.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Griffel, Frank (Übers.) (1998): Über Rechtgläubigkeit und religiöse Toleranz. Eine Übersetzung der Schrift ‘Das Kriterium der Unterscheidung zwischen Islam und Gottlosigkeit (Fayṣal at-tafriqa bayna al-Islām wa-z-zandaqa). Zürich.

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Marmura, Michael E. (Hg.) (2000): The Incoherence of the Philosophers (arabisch/englisch). Provo (Utah).

·       Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid / Bekir Sadak (Übers.) (2002) : Tehâfütü’l-Felâsife (türkische Übersetzung). Istanbul.

·       Griffel, Frank (2000). Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-Ġazālīs Urteil gegen die Philosophie und die Reaktionen der Philosophen. Leiden/Boston/Köln.

·       Griffel, Frank (2009). Al-Ghazālī’s Philosophical Theology. Oxford.

·       Griffel, Frank (2015): Al-Ghazālī at His Most Rationalist. The Universal Rule for Allegorically Interpreting Revelation (al-Qānūn al-Kullī fī t-Taʾwīl). In: Georges Tamer (Hg.): Islam and Rationality. The Impact of al-Ghazālī. Papers Collected on His 900th Anniversary, Vol. 1. Leiden/Boston: 189-120.

·       Guessoum, Nidhal (2011). Islam’s Quantum Question. New York.

·       Heinen, Anton M. (1982): Islamic Cosmology. A Study of As-Suyūṭīs al-Hayʾa as-sanīya fī l-hayʾa as-sunnīya. Beirut.

·       Rudolph, Ulrich (2004): Islamische Philosophie. München.

·       Rudolph, Ulrich (2005): Die Neubewertung der Logik durch Al-Ġazālī. In: Perler, Dominik / Rudolph, Ulrich: Logik und Theologie. Das Organon im arabischen und im lateinischen Mittelalter. Leiden/Boston: 73-97.

·       Riexinger, Martin (2016): Al-Ghazālī’s „Demarcation of Science“. A Commonplace Apology in the Muslim Reception of Modern Science – and Ist Limitations. In: Griffel, Frank (Hg.): Islam and Rationality. The Impact of al-Ghazālī. Papers Collected on His 900th Anniversary, Vol. 2. Leiden/Boston: 283-309.

·       Sezgin, Fuat (1978): Geschichte des Arabischen Schrifttums, Bd. VI (Astronomie). Leiden.

·       Vaas, Rüdiger (2016): Jenseits von Einsteins Universum. Von der Relativitätstheorie zur Quantengravitation. Stuttgart.


[1] In diesem Beitrag wird diese Bezeichnung anstelle der in der Literatur geläufigeren Benennung als Peripatetiker (al-maššāʾūn) verwendet. Peripatos bedeutet Wandelgang und steht für die von Aristoteles gegründete Schulstätte.

[2] Vgl Bigliardi, Stefano (2014: 74).

[3] Vgl. ebda (164).

[4] Vgl. Guessoum (2011: 24).

[5] Guessoum (2011: 228).

[6] Altaie befürwortet eine evolutionären Theismus in dem Sinne, dass auch die evolutionsrelevanten Mutationen der Zellen nach dem Willen Gottes geschehen würden. Vgl. Bigliardi (2014: 80). Da dies nur die metaphysische Deutung der Evolutionstheorie betrifft, modifiziert sie nicht ihre empirisch relevante Seite. So wie auch Guessoum bestätigt Altaie für empirische Fragen: „Science comes first.“, zit. n. Bigliardi (2011: 99).

[7] Zur Chronologie der Werke al-Ġazālīs und ihrer Stellung in seiner Biografie vgl. Saari (1999: 64 ff.).

[8] Die mathematische Astronomie (ʿilm hayʾat al-ʿālam), um die es im Folgenden geht, zählt in al-Ġazālīs Einteilung zu den mathematischen Wissenschaften (ar-riyāḍīya). Diese bilden zusammen mit der Logik, Naturwissenschaft, Metaphysik, Politik und Ethik sechs philosophische Teilgebiete. Vgl. al-Ġazālī: (1967: 83), al-Ġazālī (1988: 19).    Beim von al-Gazālī kritisierten Philosophen Abū Naṣr al-Fārābī (gest. 950 n. Chr.) gehört die Astronomie (ʿilm an-nuǧūm) ebenfalls zu den mathematischen Wissenschaften (ʿilm at-taʿālīm). Vgl. al-Fārābī (1996: 57-60), Arslan (1999: 76-78).

[9] Übersetzt aus al-Ġazālī (1980: 80).

[10] Ebda.

[11] Ebda.

[12] Ebda (80-81).

[13] Ebda (81).

[14] Ebda.

[15] Ebda.

[16] Ebda.

[17] Vgl. al-Ġazālī (1988: 20-21). Gleichzeitig lässt sich die Verwendung des Beispiels der Mondfinsternis zur Erläuterung rationaler Welterklärung bis zu den zweiten Analytiken des Aristoteles zurückverfolgen. Vgl. Aristoteles (1998: 449-451).

[18] Ausführlich in Riexinger (2016:  285 ff).

[19] Man kontrastiere dies jedoch auch mit der Kosmologie traditionalistischer Autoren wie as-Suyūṭī (gest. 1505 n. Chr.), die selbst an der Schwelle zur kopernikanischen Revolution im 15. Jahrhundert n. Chr. ptolemäisch geprägte Weltmodelle zu Gunsten einer mythologisierenden Astronomie ablehnten und sich dazu erstaunlich unbekümmert einer reichhaltigen Textüberlieferung bedienten. So as-Suyūtī: „As for logic and the philosophical sciences, I do not occupy myself with them because they are ḥarām… and even if they were permissible, I would not prefer them to the religious sciences.“ (zit. n. E. M. Sartain in: Heinen (1982: 13)). Im Gegensatz dazu ging die gesamte naturwissenschaftliche Astronomie der Muslime seit dem 8. Jahrhundert von der Kugelgestalt der Erde und von geometrischen Modellen im Stile des Ptolemäus (gest. ca. 160 n. Chr.) aus. Die bei ihnen vorfindbare Kritik am ptolemäischen Weltbild galt ihrer Weiterentwicklung, z. B. durch Aufgabe des Epizylenkenmodells der Planetenbahnen zu Gunsten anderer Modelle, die besser zu den Beobachtungsdaten passten. Vgl. Sezgin (1978: 19-37). Autoren wie al-Ġazālī versuchten genau diesen „Kulturkampf“ aufzulösen.

[20] Vgl. Riexinger (2016: 285, 299-301).

[21] Vgl. Einsteins wissenschaftstheoretische Überlegungen, die auch für Karl R. Popper wegweisend waren, in Vaas (2016: 414 f.).

[22] Fayṣal at-Tafriqa baina l-Islām wa-z-Zandaqa (Das Kriterium der Unterscheidung zwischen Islam und Gottlosigkeit).

[23] Konkret benennt al-Ġazālī nach der ursprünglichen Existenz noch die sinnliche, imaginative, intellektuale und die ähnliche Existenz. Letztere ist die Stufe der Analogie anlässlich eines gemeinsamen Merkmals. Für diese Existenzen samt Beispielen vgl. al-Ġazālī (1998: 60-67).

[24] Vgl. al-Gazālī (1992: 47).

[25] Vgl. ebda (1998:69).

[26] Ebda (69-70).

[27] Rainer Forst weist darauf hin, dass jedes Toleranzkonzept immer auch eine Ablehnungskomponente beinhaltet, da man ansonsten gar nicht mehr von Toleranz, sondern von inhalticher Zustimmung sprechen müsste.Vgl. Forst (2000: 120 f.).

[28] „Wenn er [d. h. der Beweis] überzeugend ist, muß man ihm zustimmen.“ Ebda (77).

[29] Ebda (81).

[30] Qānūn at-Taʾwīl (Das Gesetz der Auslegung). Für eine umfassende Darstellung und Diskussion dieses Briefes vgl. Griffel (2015: 89 ff).

[31] „… allā yukaḏḏib burhān al-ʿaql aṣlan fa-inna l-ʿaql lā yakḏib“ Al-Ġazālī (1988b: 127).

[32] Zu nennen sind hier beispielsweise die Logik-Werke Miʿyār al-ʿUlūm und Miḥaqq an-Naẓar. Für eine ausführliche Diskussion der Logik in al-Ġazālīs Werk vgl. Rudolph (2005: 73 ff).

[33] Al-Ġazālī (1998: 83).

[34] Jedoch sind in al-Ġazālīs Rechtsverständnis die Sinne bzw. die Vernunft keine Quellen von ethischen oder rechtlichen Prinzipien, sondern die Offenbarung. Die Vernunft spielt dennoch eine wichtige moderierende und weiterführende Rolle, für die die Logik zentral ist.

[35] Vgl. Rudolph (2005: 80-81).

[36] al-Mustaṣfā min ʿIlm al-Uṣūl.

[37] wa-man lā yuḥīṭ bihā fa-lā ṯiqa lahū bi-ʿulūmihi aṣlan (al-Ghazâlî 1971: 19).

[38] Es ist kein Zufall, dass der Analogieschluss im islamischen Recht (fiqh) auch als qiyās fiqhī bezeichnet wird, während die allgemeine logische Schlussfolgerungen auch qiyās ʿaqlī heißt. Die logische Form ist die selbe.

[39] Nicht alle Islamgelehrte erkennen diese logische Struktur als Teil des islamischen Rechts, so etwas Ibn Taimīya (gest. 1328 n. Chr.).

[40] Natürlich könnte man schon diese Selbstverständlichkeit homogener Seinsgattungen in Frage stellen, so wie es skeptische Kritiker der aristotelischen Logik auch machen. Damit wäre die Apodiktizität vieler Syllogismen hinfällig.

[41] So z. B. der klassische Satz vom Widerspruch: Zwei sich widersprechende Sätze können nicht gleichzeitig wahr sein.

[42] Der logisch weitaus unproblematischere Schluss vom Allgemeinen auf das Spezielle wiederum ist genau der oben beschriebene Syllogismus, d. h. der qiyās ʿaqlī bzw. die Deduktion.

[43] Vgl. al-Ġazālī (1971: 57-58).

[44] al-Ġazālī (1971: 58). Skammonium: auch genannt orientalische Purgierwinde (convolvulus scammonia).

[45] Es hängt vom Autor und Kontext ab, ob damit Gottes Schöpfungsgewohnheiten oder Wahrnehmungsgewohnheiten des Menschen gemeint sind. In jedem Fall verweist es auf die gesetzesartige Struktur der Erfahrungswelt. In jedem Fall zeigt diese Passage, dass al-Ġazālī, unabhängig von der Frage, ob er Okkasionalist war, oder nicht, von der Verlässlichkeit vorgefundener Naturgesetze ausging.

[46] Ebda.

[47] Ebda.

[48] Ebda.

[49] Al-Ġazālī (1981: 41f.).

[50] Ebda (47).

[51] Vgl. ebda (47f.).

[52] Ebda (51).

[53] Ebda (52f.).

[54] Ebda (53).

[55] Ebda.

[56] Vgl. Griffel (2009: 198 f.). Für weitere Hinweise auf die zentrale Rolle der Vernunft bei al-Ġazālī für die Bestätigung der Prophetenschaft Muhammads vgl. Griffel (2015: 113-115).

[57] Englisch/Arabisch vgl. Al-Ghazali/Marmura (2000: 5-7). Türkisch vgl. Alghazali/Sadak (2002: 12-14). Al-Ġazālīs hier behandeltes Werk „Tahāfut al-Falāsifa“ ist im Deutschen als „Inkohärenz der Philosophen“ bekannt.

[58] Vgl. Al-Ġazālī/Marmura (2000: 226) und Al-Ġazālī /Sadak (2002: 243). Der Kernsatz „In drei Angelegenheiten ist es unvermeidlich sie des Unglaubens zu bezichtigen“ lautet auf Arabisch „takfīrihim lā budd minhu fī ṯalāṯ masāʾil“  (Schreibung gemäß der Edition Dunyā (1980: 307)).

[59] Vgl. al-Ġazālī (2000: 1-2). Al-Ġazālīs (2002: 7-8).

[60] Die früheste umfangreiche Kritik stammt vom andalusischen Aristoteliker Abū Walīd Ibn Rušd alias Averroes (gest. 1198). Aus seiner „Entscheidenden Abhandlung“ erfahren wir, dass die islamischen Peripatetiker im Unterschied zu al-Ġazālīs Darstellung der Auffassung seien, dass Gott die Einzeldinge sehr wohl erkenne, und zwar mit einer Erkenntnis „…die unserer Erkenntnis unähnlich ist“. Averroes (2009: 31). Die Erkenntnis Gottes „… ist nämlich die Ursache des erkannten Dinges.“ Ebda. Hinsichtlich der unterstellten Glaubensrelevanz eines zeitlichen Anfangs der Schöpfung weist Frank Griffel darauf hin, dass einer der wichtigsten ideellen Nachfolger Al-Ghazalis, nämlich der naturwissenschaftlich geschulte Theologe Faḫr ad-Dīn al-Rāzī (gest. 1209), keinen zwingenden Beweis in den religiösen Quellen für oder gegen einen zeitlichen Anfang der Schöpfung finden konnte, sodass er folgerte, dass die Quellen diese Frage offen ließen. Ähnlich argumentiert Averroes unter Berufung auf Koran, Sure 11, Vers 7. Vgl. Averroes (2009: 36-39). Griffel zudem zu dieser Unklarheit: „Al-Ghazālī was evidently aware of this problem.“ (Griffel 2009: 119). Er begründet diese Einschätzung damit, dass al-Ġazālī in seiner späteren Schrift „Kriterium der Unterscheidung“ (Fayṣal al-Tafriqa) diesen Punkt, der in der „Inkohärenz“ noch das erste und längste Kapitel ausmachte, nicht mehr als Fundamentalkritik an den Philosophen erwähnt hat. Der türkische Philosoph Mehmet S. Aydın weist auf Passagen bei Avicenna hin, die auch von einer körperlichen Wiederauferstehung ausgehen und die mit seinen wohl grundsätzlicheren Aussagen von einem rein seelischen Jenseits ausharmoniert werden müssen (Aydın 2000: 56). Insgesamt problematisch ist überhaupt der Schluss al-Ġazālīs von mutmaßlichen Argumentationsfehlern qualifizierter Gelehrter auf deren eindeutigen Unglauben, wie es Averroes dem Vorgehen al-Ġazālīs vorwarf. Vgl. Averroes (2009: 38-41). Zur drastischen Strafform: Frank Griffel zeigt, dass die Gleichsetzung von (vermeintlichem) Unglaube bei einem ursprünglichen Muslim mit einer Apostasie desselben (ridda/irtidāt), also dem staatlich zu ahndenden Abfall von der islamischen Gemeinschaft, eine Verschärfung darstellt, die in der abbasidischen Rechtspraxis erst im 11. Jahrhundert unter hanbalitischem Einfluss in der Generation vor al-Ġazālī erfolgte. Vgl. Griffel (2000: 227-241). Die Todesstrafe für tatsächliche oder vermeintliche Apostaten, die nicht zur Waffe gegen die Muslime greifen, wird heute von maßgeblichen muslimischen Stimmen unter Verweis auf die Unvereinbarkeit eines solchen Urteils mit dem Koran (z. B. Sure 2, Vers 256) grundsätzlich abgelehnt, und etwaige Hadithe in diese Richtung werden als Sondersituation im Kriegszustand historisch kontextualisiert.

[61] Griffel (2000: 107). Die Darstellung in diesem Abschnitt folgt weitgehend Griffels ausführlicher Analyse in seinem Werk „Apostasie und Toleranz im Islam“ (2000).

[62] Die heutige al-Azhar Universität in Kairo war einst eine fatimidische Lehreinrichtung, die 1171 von den Sunniten übernommen wurde.

[63] Vgl. Griffel (2000: 259).

[64] Vgl. ebda.

[65] Vgl. Griffel (2000: 266-268).

[66] Griffel (1998: 26-27).

[67] Ebda (258).

[68] Vgl. ebda (302f.).

[69] Al-Ġazālī (1988: 24).

[70] Vgl. ebda (20f.).

[71] Ebda (23).

[72] Vgl. ebda.

[73] Ebda (25).

[74] Ebda.

[75] Vgl. ebda (21-23).

[76] Al-Ġazālī (1971: 9).

[77] Al-Ġazālī (1957: 17).

[78] Positiv anrechnen muss man seinem Vorgehen allerdings, dass er die Verurteilung der Philosophen zu Apostaten ausschließlich anhand inhaltlicher Punkte begründet hatte, und nicht durch Verweis auf ihre menschliche Schwächen.

[79] Ebda (69f.).

[80] Ein Untergang der Philosophie nach 1200 infolge des Wirkens Al-Ġazālīs wurde einst von namhaften Orientalisten wie Ernest Renan (gest. 1892) und Ignaz Goldziher (gest. 1921) vermutet. Vgl. Griffel (2000: 3-5). Ulrich Rudolph macht die in der Islamwissenschaft revidierte Sicht auf die islamische Philosophie nach dem Jahr 1200 beim Franzosen Henry Corbin (gest. 1978) fest, der nach 1200 den Beginn einer erstmals von den Griechen emanzipierten islamischen Weisheitslehre mit mystischem Akzent postulierte. In der Zeit nach Corbin verschob sich diese Sichtweise zu Gunsten der Feststellung einer weitgehend intakten rationalen Philosophie auch nach 1200, die an den Traditionen vor Al-Ġazālī anknüpfte, wenn auch unter häufiger Umgehung ausdrücklicher Verweise auf Aristoteles oder Avicenna. Rudolph verwies noch 2004 darauf, dass viele Fragen hierzu noch weitgehend unerschlossener Forschungsgegenstand seien. Vgl. Rudolph (2004: 8-9).

[81] In seinem Werk al-Qisṭās al-Mustaqīm versucht al-Ġazālī seinen ismāʿīlitischen Gegnern zu zeigen, dass die drei Figuren des kategorischen Syllogismus, sowie der hypothetische und der disjunktive Syllogismus aus dem Koran ableitbar sind. Vgl. Rudolph (2005: 86-88).

[82] So Ulrich Rudolph: „Dass Ġazālī maßgeblich dazu beigetragen hat, die aristotelische Logik als Methodenlehre der islamischen Theologie und Rechtswissenschaft zu etablieren, ist seit langem unumstritten.“ Rudolph, Ulrich (2005: 73). Für eine ausführliche Darstellung vgl. ebda (73-97).

[83] Rudolph (2004: 87).

[84] Ebda (88).

[85] Ebda (86).

[86] Vgl. ebda (2004: 91-98).

[87] Vgl. Barbour (2010).

2. Die koranische 6-Tage-Schöpfung als Konfliktfall

Doch spätestens nach zwei Jahren des Lesens und Forschens im Koran hatten sich nicht nur viele Zeichen zu Gunsten der Wissenschaftlichkeit des Korans gehäuft, sondern ich führte nun auch eine Liste möglicher Konfliktfälle zwischen Koran und Naturwissenschaft. Auf so etwas hatte mich der selige Haluk Nurbaki nicht vorbereitet, was ich ihm durchaus manchmal übel nahm. Und auch die Imame der Moscheen um mich herum konnten mir keine Antwort auf meine Fragen geben und reagierten zunehmend ungeduldig, da ich ständig nur Fragen stellte, für die sie nicht ausgebildet waren.

Aus meiner ungebremsten Euphorie war nun ein Dilemma geworden, das sich tief durch mein Denken, Fühlen und Handeln zog. Selbst in meinen rituellen Gebeten rezitierte ich nach der verpflichtenden Sure al-Fatiha anstelle der üblichen Wahlsuren Schöpfungsverse aus dem Koran, die mich beeindruckten. Nach meinen Gebeten wiederum ging ich den entdeckten Widersprüchen zwischen anderen Schöpfungsversen und der Naturwissenschaft nach. Da ich dies gründlich machen wollte, musste ich früher oder später Arabisch lernen. Und einiges mehr. All dies musste dann noch unter einen Hut gehen mit Schule, Familie, Pubertät, praktiziertem Islam, nicht muslimischen Freunden und Musizieren in einer Heavy-Metal-Band, deren Gitarrist ist war.

Was hatte ich mir da nur eingebrockt?

Als besonders hartnäckig kristallisierte sich dabei die koranische Schilderung der 6-Tage-Schöpfung in Sure 41, Verse 9-12 heraus. Denn dort fand ich eine Schöpfungsreihenfolge vor, die der Astrophysik deutlich widersprach. Demnach hatte Gott zu Beginn seines 6-Tage-Schöpfungswerkes in den ersten zwei Tagen erst die Erde, dann in zwei weiteren Tagen deren Ausstattung und in den zwei letzten Tagen die sieben Himmel aus Rauch geschaffen. Diese Deutung wurde vom Übersetzer Fikri Yavuz in Klammerkommentaren zusätzlich bestätigt. Auch wenn man das Wort „Tag“ als lange Periode verstehen konnte, wofür es gute Argumente gab, so blieb doch das Problem der wissenschaftlich nicht haltbaren Entstehungsreihenfolge: Die Erde war laut Naturwissenschaft definitiv nicht vor dem Rest des Universums da! Da hattest du nun also den Salat. Das war das erste Problem. 

Als zweites Problem kam hinzu, dass die Schilderung in Sure 41 im Widerspruch zur Schöpfungsreihenfolge im Bericht aus Sure 79, Verse 27-33 stand. Dort war erst vom Himmel und danach erst von der Erde die Rede. Der offensichtliche Widerspruch zu Sure 41 wurde vom Übersetzer nicht weiter kommentiert, ja womöglich nicht einmal bemerkt. Damit lagen also sich zunächst widersprechende koranische Schöpfungsberichte vor. Für ein Buch, das  selbstsicher auf seine Freiheit von Widersprüchen hinwies (4:82), war dies nicht unproblematisch.

„Ich finde hier keine Logik. Es widerspricht mehrfach der Naturwissenschaft, es widerspricht vielen anderen Koranversen“,

schrieb ich als Elftklässler im Juli 1996 über 41:9-12 angenervt in mein Tagebuch. Der einzige Lichtblick war, dass sich die Schöpfungsreihenfolge in Sure 79 im Vergleich mit der Naturwissenschaft als unproblematischer erwies, da hier die Erde dem Himmel nachgeordnet wurde. Vielleicht war dies ein Hinweis darauf, dass ich etwas übersehen hatte.

3. Suche nach einer Lösung

Lange plagten mich diese beiden Probleme – wissenschaftlich unhaltbare Schöpfungsreihenfolge in Sure 41 und Widerspruch zu Sure 79 – zu deren Beantwortung ich weit und breit keine Unterstützung fand und mich zunehmend überfordert fühlte. Es muss in einer schlaflosen Nacht gewesen sein, als mir plötzlich ein schon mehrere dutzend Male gelesenes, aber offensichtlich überlesenes Detail aus Sure 41 einfiel, das ich umgehend genauer anschauen musste. Und tatsächlich: Da hieß es nach dem Bericht von der viertägigen Erschaffung der Erde:

„Dann wandte Er [also Gott] sich zum Himmel, der Rauch war, und sprach zu ihm und zur Erde: ‘Kommt her, ob freiwillig, oder widerwillig!’ Und sie sprachen: ‘Wir kommen freiwillig’.“
(Koran 41:11)

Der Befehl zum Erscheinen aus der Rauchwolke richtete sich also nicht nur an den Himmel, sondern eindeutig auch an die Erde – also genau an jene Erde, die schon seit vier Tagen geschaffen wurde. Selbst der naturwissenschaftlich unbekümmerte Fikri Yavuz hatte dies im Türkischen eindeutig so wiedergegeben („İkiniz de istiyerek veya istemeyerek gelin meydana çıkın“). Die Erde war zu Beginn des fünften Tages also in irgendeinem Sinne noch gar nicht wirklich erschienen, sondern als solche vorbereitet oder geplant worden. Quasi als eine imaginäre Erde. Erst zu Beginn des fünften Tages, also zu Beginn des letzten Drittels der 6-Tage-Schöpfung, erschien sie zusammen mit einem Teil des Himmels aus einer Rauchwolke.

Elhamdulillah, das war die Lösung!

Damit verschwand nicht nur der mögliche Widerspruch zu Sure 79, in der die Erde erst nach dem Himmel im Fokus der Schöpfung stand. Sondern die später auftretende Erde passte nun auch wieder zum naturwissenschaftlichen Kenntnisstand. Der rauchförmige Himmel am fünften Tag im Vers 41:11 entsprach dem riesigen interstellaren Nebel aus der Astrophysik, aus dem die Erde, das Sonnensystem und einige tausend weitere Sterne in unserer Umgebung entstanden waren. Dieser interstellare Nebel war ein Sternenentstehungsgebiet in unserer Milchstraße, von dessen Art es damals wie heute viele gab und gibt. Und der eingangs zitierte Vers 21:30 krönte das Ganze, indem er nicht nur den Himmel im Umfeld der Erde, sondern alle Himmel, also das gesamte Universum als einst zusammenhängend beschrieb, wie es die Urknalltheorie lehrte. Auch viele andere Details ergaben für mich nun erstmals Sinn. Man musste dazu jedoch die vielen Informationen im Koran geduldig zu einem Gesamtbild zusammenführen – und sich bei Vieldeutigkeiten von der Naturwissenschaft und Vernunft leiten lassen.

Problem gelöst.

4. Vorhersage des Alters des Universums

Im Jahr 1996 begleitete mich also nicht nur die 6-Tage-Krise, sondern auch ihre Lösung, die zugleich Weiteres nach sich zog. Wenn meine Deutung der 6-Tage-Schöpfung richtig war, dann musste das gesamte Universum ungefähr dreimal so alt wie die Erde sein, die am Beginn des 5. Tages, also des letzten Drittels der 6 Tage, erschienen war und somit zwei kosmische Schöpfungstage alt war. Die genaue Dauer eines Schöpfungstages hatte der Koran offengelassen. In der Naturwissenschaft jedoch wurde das Alter der Erde relativ einstimmig auf ungefähr viereinhalb Milliarden Jahre datiert. Wenn ich dieses Alter mit meiner Deutung der 6-Tage-Schöpfung verband und die viereinhalb Milliarden Jahre als zwei Tage interpretierte, kam ich so auf ein Alter des Universums von ca. 13,5 Milliarden Jahren. Ich maß dem genauen Wert keine große Bedeutung bei, da es mir primär um das späte Erscheinen der Erde gegangen war und es 1996 zum Alter des Universums nirgendwo eindeutige Auskünfte gab. Natürlich war ich trotzdem neugierig, wie „richtig“ das durch Verheiratung meiner Koranauslegung mit der Naturwissenschaft ausgerechnete Alter denn nun war.

Nicht nur, aber auch aus solchen religiösen Gründen hatte ich einen Astronomiekurs an meiner Schule belegt und meinen engagierten Lehrer im Verlauf des Jahres gefragt, ob man denn heute grob sagen könne, dass das Sonnensystem im letzten Drittel des Alters des Universums entstanden sei. Und er bejahte. Die nächste Bestätigung gab es, als wir mit einigen interessierten Leuten aus dem Astronomiekurs im November 1996 einen wissenschaftlichen Vortrag über Galaxien an der Volkshochschule bei einem exzellenten Referenten zur aktuellen Forschung besuchten. Ich erfuhr, dass sich die aktuellsten Forschungsergebnisse zum Alter des Universums widersprachen und von 10 bis 20 Milliarden Jahren reichten. Meine Schätzung von 13,5 Milliarden Jahren lag also tatsächlich im möglichen Bereich. Unmittelbar danach schrieb ich in mein Tagebuch:

„Die Erschaffung in 6 Tagen ist genial, wenn man einfach mal das liest, was da steht.“

und

„Die zeitlichen Verhältnisse decken sich.“

Die alte Euphorie war wieder zurückgekehrt, obwohl ich mir vorgenommen hatte genau dies zu vermeiden. Und ich hätte nicht gedacht, dass dies noch gesteigert werden konnte. Im Jahre 1999, als es schon ruhiger um mein Herzensthema geworden war, ging ich erneut auf einen Vortrag an der Volkshochschule und ich erfuhr, dass mehrere Neuvermessungen in der Kosmologie, also der Wissenschaft vom physikalischen Weltganzen, viele alte Unklarheiten beseitigt hätten. Dies und einige weitere Entdeckungen führten dazu, dass die verschiedenen Rechnungen zum Alter des Universums erstmals auf einen gemeinsamen Wert zustrebten.

Im Umfeld von 14 Milliarden Jahren!

Ich dachte, ich falle gleich vom Stuhl. Jedenfalls musste ich, der ich mir schon vor zwei Jahren ein Alter von 13,5 Milliarden Jahre überlegt hatte, zusammenreißen um nicht entzückt

„Allahu akbar!“

durch den Saal zu rufen. Ich lag also erstaunlich gut mir meiner Schätzung. Und das sollte in den nächsten Jahre so bleiben, ja sogar noch etwas besser werden. Im Jahre 2012 wurden die Ergebnisse aus neun Jahren Präzisionsmessung des WMAP-Satelliten der NASA an der kosmischen Hintergrundstrahlung veröffentlicht, was ein Alter des Universums von ca. 13,8 Milliarden Jahren ergab. Unabhängig davon fand das Planck-Projekt der ESA im Jahre 2015 ebenfalls durch Hochpräzisionsmessungen ein Alter von ca. 13,8 Milliarden Jahren vor, was nach weiteren Verbesserungen in einer umfangreichen Publikation des Forscherteams im September 2020 bestätigt wurde.

Lange Rede, kurzer Sinn:

Meine 1996 auf Basis einer relativ simplen Deutung von Koran 41:9-12 und unter Hinzunahme des bekannten Erdalters von ca. 4,5 Milliarden Jahren getroffene Schätzung des Alters des Universums auf 13,5 Milliarden Jahre hat sich wenige Jahre danach durch die naturwissenschaftliche Forschung gut bestätigt. In den folgenden fast 20 Jahren umfangreicher Präzisionskosmologie wurde der naturwissenschaftlich ermittelte Wert schließlich so lange nachkorrigiert und verbessert, bis heute 13,8 Milliarden Jahre daraus geworden sind.

Nun sagt ihr mir: Ist dies nun ein Koranwunder, oder nicht?

Und wenn nein: Was genau ist es dann?

5. Grafische Schema: Vergleich der 6-Tage-Schöpfung
mit der modernen Kosmologie

6-Tage-Schöpfung